sie eben für ihr seelisches Gleichgewicht. Und da war ich ihnen nun hineingeplatzt. Ihre entsetzten Gesichter bezogen sich nicht nur auf mein Eindringen. Sie hatten einen Brief vor sich liegen, und sie weinten. Wirklich, sie weinten. Am meisten Großvater Marten, <strong>de</strong>n schüttelte es richtig vor Weinen. Großvater Schulz, <strong>de</strong>r knochendürre, bleiche Mann, hatte nur noch ein paar Tränen auf seinem schwarzen Schnauzbart sitzen. Und re<strong>de</strong>te mit mir. Ich sei nun einmal da, sie hätten vor Aufregung vergessen, die Tür zu verschließen, das alles seien Freimaurersymbole, und ich brauche keine Angst davor zu haben - hatte ich auch gar nicht -, und <strong>de</strong>r Brief sei aus Hamburg, <strong>von</strong> ihrem gemeinsamen Freund Karl-Ernst Suhrbier, und Lessing sei tot, schon seit <strong>de</strong>m Februar. So lange schon, wir hatten April o<strong>de</strong>r Anfang Mai. Suhrbier hatte nicht gleich geschrieben, o<strong>de</strong>r die Post war irgendwo hängen geblieben, wie üblich, je<strong>de</strong>nfalls erschütterte die bei<strong>de</strong>n anscheinend am meisten, dass Lessing schon bald ein Vierteljahr tot war und sie in ihrem abgelegenen Nest es nicht eher erfahren hatten. Sie hatten also <strong>de</strong>n Brief vor sich und ein paar Lessingbän<strong>de</strong> und noch eine Menge handbeschriebener Blätter, und sie hießen mich sitzen und lasen aus diesen Blättern, vorher sagten sie mir, es seien Äußerungen Lessings über die Freimaurerei, <strong>von</strong> Freun<strong>de</strong>n abgeschrieben, unter Freun<strong>de</strong>n <strong>von</strong> Hand zu Hand gereicht. Ich verstand fast nichts. Ich rutschte ungeduldig auf meinem Stuhl hin und her. Ich war schließlich sehr in Eile. Aber plötzlich horchte ich auf. Da las Großvater Schulz - später hab ich’s auswendig gelernt, Henriette! -: „Zum Besten <strong>de</strong>r Menschheit kann niemand beitragen, <strong>de</strong>r nicht aus sich selbst macht, was aus ihm wer<strong>de</strong>n kann und soll, Her<strong>de</strong>r.“ Ich klapperte inzwischen mit <strong>de</strong>n Zähnen, <strong>de</strong>nn ich war noch immer ziemlich nass, und zähneklappernd rief ich: Wenn das wahr ist, muss ich mich jetzt aber gleich umziehen und aufs Schloss. Ich soll vorspielen. Und so, wie ich jetzt friere, kann ich morgen erfroren sein. Da hättest du die Alten sehen sollen! Wie sie ihr Zeug liegen ließen und um mich rum waren. Sie kamen gar nicht auf die I<strong>de</strong>e, zu schimpfen wegen <strong>de</strong>r nassen Sachen. O<strong>de</strong>r auch nur zu fragen, wie ich <strong>de</strong>nn ins Wasser gekommen war. Großvater Marten vor allem, <strong>de</strong>r mümmelte immer vor sich hin: Jaja, aus dir soll was Bessres wer<strong>de</strong>n als aus unsereinem! Sodass ich schließlich sagte: Großvater, wenn ich so gut spielen könnte wie Sie, wär ich wohl ganz zufrie<strong>de</strong>n, warum was Bessres, und all die Noten, die Sie schon aufs Papier geschrieben haben! Ach Junge, Junge, jammerte er, was nützt das alles, hab doch <strong>de</strong>n Kontrapunkt nicht studiert, wird doch nichts, kann doch nichts ... aber du, du wirst lernen, Junge - und so fort, mir wur<strong>de</strong> ganz schwindlig. Da fiel mir ein: Ich hatte mit keinem Wort erwähnt, dass die Einladung nur <strong>von</strong> Janke und <strong>de</strong>n Kin<strong>de</strong>rn kam, dass ich Baron und Baronin selbst hatte fortfahren sehen. Jetzt tat es mir leid, das nachzutragen, sie wären zu sehr enttäuscht gewesen, meine bei<strong>de</strong>n Alten. Und du weißt ja - es war unnötige Besorgnis. Halina bringt ihn ins Terrassenzimmer; seine Haare sind noch nass. Er setzt sich an <strong>de</strong>n Flügel, spielt ohne Zögern und fehlerlos alle Choräle <strong>de</strong>s gestrigen Sonntags herunter. Na ja, sagt Friedrich bedächtig, ganz schön. Aber Klavier und Orgel ist doch wohl ein kleiner
Unterschied. <strong>Das</strong> ärgert Michel. Da schlägt er <strong>de</strong>n Triller aus <strong>de</strong>r c-Moll-Fantasie an. Bricht ab, sieht alle mit überlegenem Lächeln an, spielt die ganze Fantasie, nicht fehlerfrei, ihn stört je<strong>de</strong>r Schnitzer, aber sie merken nichts, das sieht er, sie stehen stumm vor Bewun<strong>de</strong>rung. Niemand hört Dorothea hereinkommen. Sie sitzt nun auf <strong>de</strong>m Lehnstuhl, die Hän<strong>de</strong> im Schoß, <strong>de</strong>n Blick unverwandt auf das spielen<strong>de</strong> Kind gerichtet, Tränen in <strong>de</strong>n Augen. Als er fertig ist, sagt sie: Bestell <strong>de</strong>inem Großvater, du kannst ab morgen je<strong>de</strong>n Nachmittag aufs Schloss kommen, wenn Henriette und Joachim Unterricht haben, und kannst mit ihnen lernen. Und nun geh. Aber <strong>de</strong>r Herr Baron ...? fragt Janke zögernd. Lass Er das meine Sorge sein, sagt sie ruhig.
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- Seite 4 und 5: 1. Kapitel 1 Die Glocke. Hörst du,
- Seite 6 und 7: Etüden, Präludien und Toccaten, d
- Seite 8 und 9: 2 Hinter den letzten, scheppernden
- Seite 10 und 11: Sie warf ihm einen spöttischen Bli
- Seite 12 und 13: 3 „Und hat ein Blümlein bracht .
- Seite 14 und 15: 4 Jetzt war sie weit entfernt von s
- Seite 16 und 17: Inzwischen haben Sie sich in Ihre U
- Seite 18 und 19: 5 Sie spielt mit den Vettern hasche
- Seite 20 und 21: Soll er doch beweisen, was er behau
- Seite 24 und 25: 6 Henriette zuckte zusammen, als Jo
- Seite 26 und 27: er aus dem Schatten des anderen her
- Seite 28 und 29: Da erstarrten alle in Erwartung ein
- Seite 30 und 31: 7 Ein kühler, früher Morgen. Herb
- Seite 32 und 33: Schließlich ist der Inspektor gega
- Seite 34 und 35: Der Baron? Ja gewiss, der. Aber was
- Seite 36 und 37: 2. Kapitel 1 Mit hängenden Schulte
- Seite 38 und 39: das Kienast zusammenzucken ließ -
- Seite 40 und 41: Aber neugierig war ich. Ich wollte
- Seite 42 und 43: den Traum: „Der Orden der Rosenkr
- Seite 44 und 45: davor Angst, Henriette? Nein, du, i
- Seite 46 und 47: 3 Wie lange schwieg die Orgel schon
- Seite 48 und 49: Aber Janke wollte Macht und Reichtu
- Seite 50 und 51: Das Gespräch wird mehr und mehr zu
- Seite 52 und 53: ehrlichem Herzen die absolute Wahrh
- Seite 54 und 55: 4 Eine Woche nach der Beerdigung Ja
- Seite 56 und 57: kämen dabei auch ein. Zu allem nic
- Seite 58 und 59: Schulen“, es wird Sie interessier
- Seite 60 und 61: mehr geschrieben? Michel begreift,
- Seite 62 und 63: Da sagte die Frau neben ihm: Ja, se
- Seite 64 und 65: Uniform, die euch nicht gefällt? E
- Seite 66 und 67: 3. Kapitel 1 Henriette, während si
- Seite 68 und 69: welche nötig, und der Heirat mit E
- Seite 70 und 71: Vom Revolutionsfieber sind hier all
- Seite 72 und 73:
2 Es klopfte, Henriette zuckte zusa
- Seite 74 und 75:
sagte: Ich will mit, Michel? Da has
- Seite 76 und 77:
Ja, da wolltest du. Aber schon da h
- Seite 78 und 79:
Dem Janke tust du einen Gefallen, h
- Seite 80 und 81:
nämlich manchmal, die beiden Alten
- Seite 82 und 83:
denken können. Mir entging aber ni
- Seite 84 und 85:
4 Henriette war erleichtert, als si
- Seite 86 und 87:
Sie ist unzerbrechbar, hast du mir
- Seite 88 und 89:
hast du denn mit deinem Kleid gemac
- Seite 90 und 91:
hat er doch aller Welt gezeigt, wie
- Seite 92 und 93:
5 Es schneite noch immer. Terrasse
- Seite 94 und 95:
einkaufen bei Euch. Hä, machte der
- Seite 96 und 97:
Fällt draußen noch der Novemberre
- Seite 98 und 99:
Wiedersehen. Und er lauscht lange a
- Seite 100 und 101:
Da drehte sich Tadeusz Piotrowski z
- Seite 102 und 103:
Andreas! Da wacht er auf, sieht den
- Seite 104 und 105:
Mit jedem Schritt nähern sie sich
- Seite 106 und 107:
Anhängern, verschwinde aus meinem
- Seite 108 und 109:
es zu breit ist? Verstehst du? Und
- Seite 110 und 111:
esseren Bund zu begründen zu Deuts
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Bach. Die verhaltene Trauer des Sat
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unserer Bude in Erfurt - Hinterhof,
- Seite 116 und 117:
Und Marianne war nicht mehr bei ihm
- Seite 118 und 119:
Präsent zum Geburtstag, keine Gans
- Seite 120 und 121:
5 Sacré matin, sacré chien, sacr
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eingeredet, ich kann ihn doch nun n
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6 Da stehen sie an der Seine, Heinr
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Wenn du willst, sagt Heinrich. Ich
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Seit ca. 1984 Nachdichtungen aus de
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und „Der fingerkleine Kobold“