Das Mirakel von Bernsdorf - Demo - Buch.de
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was in mir ist, ganz und gar ich selbst sein - und ich weiß ganz sicher, es ist genug in mir,<br />
vor allem genug Sehnsucht nach Leben, nach ungeheucheltem, niemals en<strong>de</strong>n<strong>de</strong>m Leben.<br />
Es en<strong>de</strong>t, sagst Du? Nein, es en<strong>de</strong>t nicht, es gibt keinen Tod. Er ist nur eine Erfindung <strong>de</strong>r<br />
Schwachen, <strong>de</strong>r Gezähmten ... “<br />
„Henriette, meine Gute, mit <strong>de</strong>m nicht en<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Leben hast Du vielleicht recht, ich<br />
je<strong>de</strong>nfalls wi<strong>de</strong>rspreche Dir gar nicht. Nimm Dich in acht vor Janke. Er hat zu seiner Karriere<br />
nur noch eine adlige Frau nötig, das musst Du be<strong>de</strong>nken. Und er beginnt in <strong>Bernsdorf</strong><br />
überflüssig zu wer<strong>de</strong>n, also hat er’s nun eilig. Aber wenn Du nicht willst, erreicht er nichts.<br />
Sie wer<strong>de</strong>n Dich nicht zwingen. We<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Vater noch die Mutter mögen ihn. Friedrich ist<br />
sein einziger Verbün<strong>de</strong>ter. Du hast also gar nichts zu befürchten. Bleib nur, wie Du bist, Du<br />
bist gut so. Ich hätte Dir heute viel zu erzählen, weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. Mit<br />
<strong>de</strong>m Besten fang ich an: mit ihr. Ja, mit ihr, Henriette, siehst Du nun, wie unnötig es war,<br />
mir die Eifersucht abzumahnen? Ich sah sie erst jetzt, Marianne Vischer, die Tochter meines<br />
Lehrers und Tischherrn, <strong>de</strong>nn sie war so lange bei Verwandten in Berlin. Wir sahen sie alle<br />
jetzt erst - wir sind vier Mittagsgäste beim Professor Vischer - und verliebten uns in sie.<br />
Was soll ich Dir <strong>von</strong> ihr schreiben, Henriette - sie ist so, wie ich noch kein Mädchen sah,<br />
Dich ausgenommen, so klug und schön und so ungekünstelt und frei. Wüsste ich nur, ob sie<br />
mir gut ist ... Ich schrieb ein schönes Gedicht für sie, und sie sagte mir viel Gutes darüber,<br />
doch mehr nicht, sie sucht nicht zu gefallen, we<strong>de</strong>r mir noch an<strong>de</strong>ren, sie ist ganz ohne<br />
Maske und ganz unzerbrechbar. Ich könnte sie mir nicht als Frau eines dieser<br />
verknöcherten Gelehrten vorstellen, die uns tagtäglich die Wissenschaft wi<strong>de</strong>rkäuen. Jawohl<br />
wi<strong>de</strong>rkäuen, Henriette, wie die Ochsen. Sie basteln sich ihre Kollegia zusammen aus<br />
etlichen Büchern, die man besser selber läse, und leiern das dann so langweilig wie möglich<br />
daher, da ist kein bisschen eigner Geist und keine Kraft dahinter, sie sind die reinsten<br />
Brotgelehrten. Der Magister Vischer macht freilich eine Ausnahme, er ist ein lieber Mensch<br />
und re<strong>de</strong>t nicht nur für sein Brot, doch ein Pedant ist er auch, kein Denker, ein kleiner Geist.<br />
Er teilt die Welt in genau nachzählbare Schubfächer ein, obwohl er <strong>de</strong>n Emanuel Kant<br />
studiert hat und ihn uns anpreist, aber mir scheint, er hat nicht recht verdaut, was er<br />
gelesen, und kaut nun unaufhörlich darauf herum. Überhaupt - was sind alle diese Leute,<br />
<strong>de</strong>r gute Vischer eingeschlossen, gegen <strong>de</strong>n einen einzigen Schiller! Wahrhaftig - ich hätte<br />
Jena schon vor Wochen verlassen und - schrecklicher Gedanke - Marianne nie gesehen,<br />
gäbe es <strong>de</strong>n Schiller hier nicht! <strong>Das</strong> ist nun mal ein Erzgenie! Nichts da mit pedantischem,<br />
steifem Gehabe, schwungvoll ist er und ganz poetisch, und was er sagt, klingt nicht nur neu,<br />
es ist’s auch, da schreibt man wie besessen und fragt sich nicht mehr, wozu eine Vorlesung<br />
wohl gut sein soll, da weiß man’s. Brachte <strong>de</strong>m Schiller gestern mein Kollegiumsgeld,<br />
wusste vor Befangenheit nicht, wo ich hinsehen sollte, als ich ihm so ganz allein<br />
gegenüberstand, schlimmer war aber, dass auch er sehr verlegen war, wohl <strong>de</strong>s leidigen<br />
Gel<strong>de</strong>s wegen (an <strong>de</strong>m er nicht gera<strong>de</strong> Überfluss lei<strong>de</strong>n soll), und ich suchte das Weite, so<br />
schnell ich konnte. Und hätte ihm doch gern erzählt, mit welchem Enthusiasmus wir<br />
vergangenen Sommer seine „Räuber“ gelesen haben, heimlich, im Park, und wie gera<strong>de</strong> da<br />
Herrmann uns die Nachricht vom Ausbruch <strong>de</strong>r Revolution in Paris brachte ...