23.11.2013 Aufrufe

Das Mirakel von Bernsdorf - Demo - Buch.de

Das Mirakel von Bernsdorf - Demo - Buch.de

Das Mirakel von Bernsdorf - Demo - Buch.de

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

weiß, die kommen vielleicht noch mal. Vielleicht lässt euch <strong>de</strong>r Pfarrer in <strong>de</strong>r Kirche<br />

übernachten. Ist ein Patriot, <strong>de</strong>r Pfarrer. Wie viele hier. Morgen früh schick ich je<strong>de</strong>m <strong>von</strong><br />

euch noch einen Marktkorb, da kommt ihr gewiss unbehelligt über die Grenze. Ist ja nicht<br />

mehr weit. - Damit hatte sie recht, wir sind am nächsten Tag unbehelligt aus <strong>de</strong>m<br />

Erfurtischen herausgekommen. Aber in <strong>de</strong>r Nacht, dort in <strong>de</strong>r Kirche, da flogen uns doch<br />

ganz schön die Hosen. Vielmehr die Röcke. Da versteckten wir uns hinterm Altar; <strong>de</strong>r<br />

Heinrich schrieb einen verzweifelten Brief nach Hamburg an Andreas' Vater, <strong>de</strong>r alte<br />

Suhrbier muss gedacht haben, wir seien kurz vor <strong>de</strong>r Hinrichtung, zum Glück waren wir<br />

früher in Hamburg als <strong>de</strong>r Brief. Und kalt war’s in <strong>de</strong>r Kirche. Und je<strong>de</strong>n Moment glaubten<br />

wir die Türen gehen und Soldatenstiefel poltern zu hören. Endlich war mir das Gebibbere<br />

über, und schließlich waren wir ja in einer Kirche - ich hatte schon eine Ewigkeit keine<br />

Orgeltasten mehr unter <strong>de</strong>n Fingern gespürt. Ich sage also: Ich spiele jetzt die Orgel. Die<br />

bei<strong>de</strong>n, zu To<strong>de</strong> erschrocken: Bist du verrückt? Aber ich hab sie schnell beruhigt: Keiner<br />

tritt <strong>de</strong>n Blasebalg, also wird man nichts hören. Und dann hab ich <strong>de</strong>n Rest <strong>de</strong>r Nacht Orgel<br />

gespielt, für mich. Da hatte ich plötzlich vor nichts und nieman<strong>de</strong>n mehr Angst, versteht ihr?<br />

Ja, sagte August, das verstehe ich. Wart ihr <strong>de</strong>nn nicht auch mit <strong>de</strong>m Junker Joachim<br />

zusammen, <strong>de</strong>r war doch um die Zeit noch immer zerstritten mit seinem Vater, weil er <strong>de</strong>n<br />

Franken anhing, nicht?<br />

<strong>Das</strong> schon, sagte Michel, aber wir waren mit ihm auch zerstritten, August. Er war damals in<br />

Jena und been<strong>de</strong>te sein Studium, vom Baron kriegte er zwar keinen Pfennig Geld mehr,<br />

aber dafür durch heimliche Vermittlung <strong>de</strong>r Baronin <strong>von</strong> <strong>de</strong>r Bülowschen Verwandtschaft.<br />

Jaja, sagte <strong>de</strong>r alte Lemke, das wissen wir vom Ta<strong>de</strong>usz, aber wieso war er <strong>de</strong>nn mit euch<br />

zerstritten?<br />

<strong>Das</strong> ist schwer zu erklären, sagte Michel zögernd. Er war für die Franken, <strong>de</strong>r Joachim, und<br />

war auch nicht mehr für sie, nicht mehr für die Revolution, wie sie jetzt aussah, versteht ihr?<br />

Wir wollten ihn für unseren Menschheitsbund gewinnen, aber er schrieb uns, er sehe keinen<br />

Sinn mehr in solchen Vereinigungen, und wenn wir uns nach wie vor zu <strong>de</strong>n radikalen<br />

Kräften <strong>de</strong>r Revolution bekennen sollten, dann brauchten wir ihm nicht mehr unter die Augen<br />

zu kommen. Die Verbrechen <strong>de</strong>r Jakobiner in <strong>de</strong>r Vendée seien nicht weniger<br />

verabscheuungswürdig als die <strong>de</strong>s Mainzer Erzbischofs; ein System, das nichtswürdigen,<br />

elen<strong>de</strong>n Kreaturen wie einem Carrier die Macht gebe, Frauen, Greise und Kin<strong>de</strong>r zu<br />

Tausen<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>r Loire zu ertränken, sei ein verbrecherisches System. Und die erhabenste<br />

I<strong>de</strong>e wer<strong>de</strong> niedrig und klein, wenn in ihrem Namen Unmenschlichkeiten geschehen könnten.<br />

Da hat es nichts geholfen, dass wir ihm entgegenhielten: Ohne die Härte <strong>de</strong>r Jakobiner<br />

gäbe es keine französische Republik mehr, hätte <strong>de</strong>r Braunschweiger inzwischen seine<br />

anmaßen<strong>de</strong> Drohung wahr gemacht und Paris in Schutt und Asche gelegt. Und dieser<br />

Carrier - <strong>de</strong>n wir übrigens nicht weniger verachteten als Joachim - beschmutze durch seine<br />

Untaten nicht die I<strong>de</strong>e, son<strong>de</strong>rn sich selbst; dass man die beste I<strong>de</strong>e missbrauchen könne,<br />

spreche nicht gegen die I<strong>de</strong>e, son<strong>de</strong>rn gegen die Menschen, durch die das geschehe.<br />

Lange Briefe schrieben wir an Joachim, aber er antwortete schließlich nicht mehr. Ich weiß<br />

nicht, ob ihr das versteht.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!