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Das Mirakel von Bernsdorf - Demo - Buch.de

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Natürlich steht <strong>de</strong>r Leutnant Michel Marten, Offizier <strong>de</strong>r Gran<strong>de</strong> Armee, jetzt nicht mehr am<br />

zugefrorenen See hinter <strong>de</strong>m Schlosspark. Da waren ihm die Füße kalt gewor<strong>de</strong>n, sodass<br />

er alle Wege <strong>de</strong>s Parks ablief, um sich zu erwärmen, dabei in seiner Brusttasche suchte<br />

und ein paar vielfach gefaltete, abgegriffene Briefe herauszog, las, wie<strong>de</strong>r wegsteckte. Im<br />

gleichen Augenblick hörte er die Kirchenglocke, und er eilte, aus <strong>de</strong>m Park zu kommen,<br />

<strong>de</strong>nn nicht <strong>de</strong>r Herrschaft wollte er jetzt begegnen, son<strong>de</strong>rn, wenn möglich, <strong>de</strong>m August<br />

Lemke. Gelangte auch noch rechtzeitig hinter die kleine Kapelle, bevor sie gemessenen<br />

Schritts aus <strong>de</strong>r Seitentür <strong>de</strong>r Kirche heraustraten: Baron und Baronin, Joachim und<br />

Friedrich und dann Henriette am Arm <strong>de</strong>s Joseph <strong>von</strong> Janke. Zum Schluss Halina und Maria,<br />

mit Decken und Kissen bela<strong>de</strong>n.<br />

Er sah sie, <strong>de</strong>nn er konnte es nicht lassen, um die Ecke <strong>de</strong>r Kapelle zu spähen, er sah vor<br />

allem Henriette. Und er wusste, was er noch gestern Abend nicht wahrhaben wollte: er<br />

liebte sie noch immer. Wirklich, Michel Marten? Aber weißt du <strong>de</strong>nn, wer sie ist - heute? Ist<br />

diese Frau <strong>von</strong> Janke <strong>de</strong>nn noch <strong>de</strong>ine Henriette? Wie kann sie noch Henriette sein, wenn<br />

sie <strong>von</strong> Janke heißt, Michel Marten.<br />

Während er so mit sich re<strong>de</strong>te, versuchte er das Gefühl zurückzuholen, das ihn vor Jahren<br />

überfallen hatte, in Hamburg, als Andreas Suhrbier sagte: Meine Schwester hat Post <strong>von</strong><br />

ihrem Verlobten, Michel, in <strong>Bernsdorf</strong> war Hochzeit, die Henriette hat <strong>de</strong>n Herrn <strong>von</strong> Janke<br />

geehelicht. - Ein paar Wochen warst du da erst in Hamburg, Michel Marten, belogen und<br />

betrogen kamst du dir vor, und: ich lieb sie nicht mehr! hast du dir eingere<strong>de</strong>t, was soll das<br />

also jetzt, Michel Marten, natürlich liebst du sie nicht mehr, sie ist doch wie alle diese<br />

Herrschaften: launisch, vergesslich, selbstsüchtig. Und er suchte angestrengt nach an<strong>de</strong>ren<br />

Eigenschaften, mit <strong>de</strong>nen er Henriette ausstattete: überheblich, dachte er, oberflächlich,<br />

allzu anpassungsfähig, und er wusste nicht, dass er sich nur <strong>de</strong>shalb so anstrengte, weil er<br />

eine Stimme in sich zum Schweigen bringen wollte, die aber trotz<strong>de</strong>m unüberhörbar<br />

weitersprach: Deine Schuld, Michel Marten, <strong>de</strong>ine Schuld, <strong>de</strong>ine ...<br />

Bei all <strong>de</strong>m Sinnieren vergaß er, auf <strong>de</strong>n Strom <strong>de</strong>r Dorfbewohner zu achten, <strong>de</strong>r nun aus<br />

<strong>de</strong>m Hauptportal <strong>de</strong>r Kirche quoll, sich auf <strong>de</strong>n bei<strong>de</strong>n Wegen <strong>de</strong>s Kirchhofs ausbreitete,<br />

langsam an <strong>de</strong>r Kapelle vorbeifloss, und erst eine Stimme schreckte ihn auf, ein Satz, <strong>de</strong>r<br />

hieß: Sieh da, die französische Armee überwacht auch <strong>de</strong>n Weihnachtsgottesdienst!<br />

Ein Halbwüchsiger hatte das gerufen, laut und ungeniert, aber er wur<strong>de</strong> schnell zur Ordnung<br />

gerufen, flüsternd. Wussten doch die meisten seit gestern, dass dieser Franzose keiner<br />

war und also <strong>de</strong>utsch verstand.<br />

Michel stieß sich <strong>von</strong> <strong>de</strong>r Mauer ab, an <strong>de</strong>r er gelehnt hatte, überwand Verlegenheit und<br />

Unsicherheit (warum eigentlich unsicher, Michel Marten?), mischte sich unter sie. Versuchte<br />

es. Aber es blieb ein Raum zwischen ihm und ihnen. Bin ich ein Aussätziger? dachte er<br />

wütend. Er re<strong>de</strong>te einen mit Namen an: Tag auch, Kröger-Hannes, kennst mich nicht mehr?<br />

Der wich mit <strong>de</strong>n Augen aus, murmelte: Doch, doch, Herr, kenn Sie schon noch. Und fügte<br />

noch hinzu, nach kurzer Pause: Haben sehr schön gespielt vorhin.

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