Inzwischen haben Sie sich in Ihre Unverwundbarkeit gerettet, in diese leere Höhle, in <strong>de</strong>r keine Blumen blühen, nicht einmal weiße, geschweige <strong>de</strong>nn blaue ... Der alte Herr in<strong>de</strong>ssen setzte seine Pfeife in Brand, langstielige Porzellanpfeife (die Bil<strong>de</strong>r, bunt und zierlich, die <strong>de</strong>n Pfeifenkopf schmückten, illustrierten verschie<strong>de</strong>ne Punkte <strong>de</strong>s preußischen Exerzierreglements). Ach was, Musik, sagte er, Pfeife zwischen <strong>de</strong>n Zähnen, preußische Armeemusik, das ist Musik. Und Kompositionen König Friedrichs. Aber Friedrich liebte doch die Musik, Onkel, auch diese! Selbstre<strong>de</strong>nd würdigte <strong>de</strong>r Baron die Nichte keines Wortes und Blickes (Weibergeschwätz !), wandte sich schroff mit <strong>de</strong>m ganzen Oberkörper in die entgegengesetzte Richtung, wodurch er sich mit seinem ältesten Sohn konfrontierte, <strong>de</strong>m gelangweilt vor sich hindösen<strong>de</strong>n Friedrich. Vor <strong>de</strong>m Essen Streit gehabt, sagte <strong>de</strong>r Baron, worum ging's? Ach, mein Gott, dachte Henriette, nun geht das sicher wie<strong>de</strong>r <strong>von</strong> vorn los: <strong>Das</strong> Genie Napoleon - <strong>de</strong>r Tyrann Napoleon. Sieh an, genauso formuliert Friedrich das umstrittene Thema. Unsinn, brummte <strong>de</strong>r Baron, we<strong>de</strong>r Genie noch Tyrann, zu viel Ehre für <strong>de</strong>n Emporkömmling, <strong>de</strong>n Rebellenkaiser! Es ist eine unbedingte Notwendigkeit für das kleine, besiegte Preußen, sich vor <strong>de</strong>r Macht dieses Kaisers zu beugen, dozierte Janke mit sanfter Stimme, er ist die einzige Macht <strong>de</strong>r Welt, die unsere polnischen Besitzungen vor <strong>de</strong>r Unersättlichkeit <strong>de</strong>s russischen Zaren schützen kann ... Papperlapapp, unterbrach ihn <strong>de</strong>r Baron, können uns selber schützen, ruiniert uns doch mit idiotischer Kontinentalsperre, das sieht ein Säugling ein, mit England muss man Han<strong>de</strong>l treiben, aber nicht England schnei<strong>de</strong>n, Blödsinn, so was, wir wer<strong>de</strong>n Getrei<strong>de</strong>überschuss haben, wohin damit, he? Ach, das Getrei<strong>de</strong>, sagte da Joachim. Als ginge es nur um Getrei<strong>de</strong>, und er ist auch kein Rebellenkaiser, er ist ein Verräter an <strong>de</strong>n heiligen I<strong>de</strong>alen <strong>de</strong>r Neufranken, und <strong>de</strong>r Tilsiter Frie<strong>de</strong>n ist eine Schan<strong>de</strong> für Preußen und ganz Deutschland, wir brauchen ein Bündnis gegen <strong>de</strong>n Eroberer, nicht mit ihm, sind wir <strong>de</strong>nn Franzosen, sind wir nicht Deutsche? Blödsinn, knurrte <strong>de</strong>r Baron, Deutsche? Scheißdreck. Preußen sind wir, fertig. Joachim schüttelte <strong>de</strong>n Kopf. Nein, Vater, sagte er, da könnt Ihr sagen, was Ihr wollt, ich bin zuerst einmal Deutscher. Sieh da, unser Studierter, unser Dichter, höhnte Friedrich mit öliger Stimme, er hat ent<strong>de</strong>ckt, dass er Deutscher ist, hat dir das <strong>de</strong>in hochverehrter Herr Fichte beigebracht, ja? Mit seinen aufrührerischen Re<strong>de</strong>n? Eine Fata Morgana ist das - Deutschland. Und selbst als solche nur <strong>de</strong>nkbar im Schutz Napoleons. Und meinst du <strong>de</strong>nn, unser weiser König hat sich nichts dabei gedacht, als er <strong>de</strong>n Frie<strong>de</strong>n mit Napoleon abschloss? Willst du klüger sein als ein König aus <strong>de</strong>m Hause Hohenzollern, ja? Ja, sagte Joachim. Sagte es spöttisch, unterließ die hitzige Re<strong>de</strong>, mit <strong>de</strong>r er eben noch die „Fata Morgana“ wi<strong>de</strong>rlegen wollte. Fügte nur noch hinzu: „Sapere au<strong>de</strong>. Habe Mut, dich <strong>de</strong>ines eigenen Verstan<strong>de</strong>s zu bedienen“, Kant, Imanuel, verehrter Bru<strong>de</strong>r. Doch um es zu
eherzigen, bedarf es zunächst <strong>de</strong>s Verstan<strong>de</strong>s, mein Lieber. Kannst du mir folgen? Er wird gleich platzen vor Ärger, dachte Henriette, während sie belustigt ihren Vetter Friedrich betrachtete, <strong>de</strong>ssen blasses, knochiges Gesicht plötzlich rot gefleckt war, <strong>de</strong>r vor Erregung zu stammeln begann und doch keinen vollständigen Satz entgegnen konnte, sodass Janke ihm mit wohlgesetzten Worten zu Hilfe eilte. Da kehrte sie <strong>de</strong>n Streiten<strong>de</strong>n <strong>de</strong>n Rücken, hörte nicht mehr auf ihre Re<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>nn all das, was hier verhan<strong>de</strong>lt wur<strong>de</strong>, schien ihr unentwirrbar verstrickt, aussichtslos verdunkelt, selbst ihr Vetter Joachim, wie er da stand und sich erhitzte, war ihr fremd, auch ihn begriff sie nicht. Aber morgen wird sie ihn fragen, warum er „zuerst einmal Deutscher“ ist. Warum nicht zuerst einmal Mensch, Joachim? Morgen. Sie sah in <strong>de</strong>n dunklen Park hinaus. Da hatte sie <strong>de</strong>n alarmieren<strong>de</strong>n Triller <strong>de</strong>r Bachfantasie wie<strong>de</strong>r im Ohr, gespielt jetzt weniger zornig, <strong>von</strong> Kin<strong>de</strong>rhän<strong>de</strong>n gespielt: Michel Marten, zehnjährig, vor <strong>de</strong>m <strong>Bernsdorf</strong>schen Flügel sitzend, im Sommer nach jenem Weihnachtsfest, das Henriette vor Kurzem gegenwärtiger gewesen war als das gegenwärtige.
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3. Kapitel 1 Henriette, während si
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welche nötig, und der Heirat mit E
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Vom Revolutionsfieber sind hier all
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2 Es klopfte, Henriette zuckte zusa
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sagte: Ich will mit, Michel? Da has
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Ja, da wolltest du. Aber schon da h
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Dem Janke tust du einen Gefallen, h
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nämlich manchmal, die beiden Alten
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denken können. Mir entging aber ni
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4 Henriette war erleichtert, als si
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Sie ist unzerbrechbar, hast du mir
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hast du denn mit deinem Kleid gemac
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hat er doch aller Welt gezeigt, wie
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5 Es schneite noch immer. Terrasse
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einkaufen bei Euch. Hä, machte der
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Fällt draußen noch der Novemberre
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Wiedersehen. Und er lauscht lange a
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Da drehte sich Tadeusz Piotrowski z
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Andreas! Da wacht er auf, sieht den
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Mit jedem Schritt nähern sie sich
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Anhängern, verschwinde aus meinem
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es zu breit ist? Verstehst du? Und
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esseren Bund zu begründen zu Deuts
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Bach. Die verhaltene Trauer des Sat
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unserer Bude in Erfurt - Hinterhof,
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Und Marianne war nicht mehr bei ihm
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Präsent zum Geburtstag, keine Gans
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eingeredet, ich kann ihn doch nun n
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6 Da stehen sie an der Seine, Heinr
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Wenn du willst, sagt Heinrich. Ich
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Seit ca. 1984 Nachdichtungen aus de
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und „Der fingerkleine Kobold“