Da erstarrten alle in Erwartung eines neuen Gewitterausbruchs. Doch <strong>de</strong>r blieb aus. Joachim allerdings, Joachim stand nun doch auf und verließ schweigend das Zimmer. Der Baron aber sank in sich zusammen bei <strong>de</strong>r Erwähnung <strong>de</strong>r Katastrophe Preußens, die die Katastrophe seines Lebens war, nach <strong>de</strong>r er <strong>de</strong>n Abschied aus <strong>de</strong>r preußischen Armee genommen hatte und seine Besitzungen unter die Söhne verteilt und die ihm unverständlicher erschien, als einem Analphabeten ein <strong>Buch</strong> sein konnte. Warten wir ab, sagte er schließlich, stand auf, unerwartet für alle, und been<strong>de</strong>te damit <strong>de</strong>n Abend. Dorothea rief geschäftig nach Halina, um die französischen Gäste unterzubringen, löschte die Kerzen, die nur noch glimmten, wartete, bis alle aus <strong>de</strong>m Zimmer waren, blieb allein zurück, ohne dass es jeman<strong>de</strong>m aufgefallen wäre. Sie setzte sich ans Fenster, dachte: Der Mond hängt dort, als hätte er sich in <strong>de</strong>n Ästen verfangen. Sie begriff sich selbst nicht ganz: Warum saß sie hier und ging nicht ins Bett zum alten Herrn? Da war ein Erschrecken gewesen, sie hatte jeman<strong>de</strong>n wie<strong>de</strong>rerkannt, und er steckte in französischer Uniform. <strong>Das</strong> letztere war unbe<strong>de</strong>utend; sie begriff gar nichts <strong>von</strong> Politik, und wenn sie wie heute Abend darüber re<strong>de</strong>te, so sprach sie nur nach, was sie <strong>von</strong> an<strong>de</strong>ren gehört hatte und was ihr gera<strong>de</strong> nötig schien zu sagen. Aber Michel Marten. Ziemlich spät, später als an<strong>de</strong>re, hatte sie ihn erkannt. Und so gewiss, wie Henriette heute Abend darüber nach<strong>de</strong>nken wird, wie Michel Marten aus diesem Hause gegangen ist, heimlich und für immer, so gewiss wird Dorothea nun daran <strong>de</strong>nken müssen, wie er gekommen ist - in dieses Haus, vor allem aber in diese Welt. Und <strong>de</strong>shalb wird sie - mehr als an ihn - an <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren Marten <strong>de</strong>nken, <strong>de</strong>m er so gar nicht ähnelt, an Heinrich Marten, <strong>de</strong>n „Zigeuner- Marten“. Still für sich nennt sie ihn manchmal ihren „Sün<strong>de</strong>nfall“. Aus Rache tat ich’s, <strong>de</strong>nkt sie dann. Und bezweifelt es sofort: Wirklich? Nein, nein, nichts und nieman<strong>de</strong>n hab ich so geliebt wie ihn. Aus Liebe also. Aber das wur<strong>de</strong> ihr erst viel später bewusst. Als es lange zu spät war. Für alles zu spät. Als sie schon durch sieben Höllen <strong>de</strong>r Verzweiflung geirrt war und einen Ausweg nur gefun<strong>de</strong>n hatte, in<strong>de</strong>m sie sich selbst angeklagt und <strong>de</strong>r tiefsten Sün<strong>de</strong> bezichtigt und in <strong>de</strong>mütiger Reue zu einem Gott geflüchtet hatte, <strong>de</strong>n sie sich als gütig und allverzeihend dachte. Und nach<strong>de</strong>m sie glaubte, er habe ihr verziehen, da führte sie das Werk <strong>de</strong>r Selbstzerstörung zu En<strong>de</strong>, da nahm sie an, er habe ihr die Strafe auferlegt, ihrem herrischen, ungeliebten Mann eine gefügige, liebevolle Gattin zu sein. Da unterwarf sie sich <strong>de</strong>r Strafe, sie wollte es so, sie beugte sich ihr nicht <strong>de</strong>mütig, son<strong>de</strong>rn mit Wollust, sie ver<strong>de</strong>ckte so die grenzenlose Leere in ihrem Innern, sie strich das Wort „ich“ aus ihren Gedanken, sie kannte nur noch das „Dein Wille geschehe“. Und als dann einer kam, <strong>de</strong>r ihr sagte, sie sei ein Sprachrohr Gottes, da glaubte sie ihm nur zu gern, da war sie wie Wachs in <strong>de</strong>n Hän<strong>de</strong>n dieses Emanuel Kienast ... Aber die Reue war da versiegt; während sie gefügig geschehen ließ, was mit ihr geschah, wusste sie: Was Gewicht gehabt hatte in ihrem Leben, das war dieser eine Moment <strong>de</strong>r Auflehnung. <strong>Das</strong> war dieser Heinrich Marten,
<strong>de</strong>n sie jetzt, reuelos, ein wenig triumphierend sogar, ihren „Sün<strong>de</strong>nfall“ nennt. Sie hatte sich viele Jahre um Vergessen bemüht und war nun ungeübt im Erinnern. So tauchten die Bil<strong>de</strong>r mosaikartig aus ihrem zugeschütteten Innern auf, unscharf manchmal, wur<strong>de</strong>n rasch wie<strong>de</strong>r zurückgeholt, eingeschlossen.
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- Seite 8 und 9: 2 Hinter den letzten, scheppernden
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- Seite 12 und 13: 3 „Und hat ein Blümlein bracht .
- Seite 14 und 15: 4 Jetzt war sie weit entfernt von s
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- Seite 18 und 19: 5 Sie spielt mit den Vettern hasche
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- Seite 34 und 35: Der Baron? Ja gewiss, der. Aber was
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- Seite 38 und 39: das Kienast zusammenzucken ließ -
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- Seite 44 und 45: davor Angst, Henriette? Nein, du, i
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- Seite 68 und 69: welche nötig, und der Heirat mit E
- Seite 70 und 71: Vom Revolutionsfieber sind hier all
- Seite 72 und 73: 2 Es klopfte, Henriette zuckte zusa
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Dem Janke tust du einen Gefallen, h
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nämlich manchmal, die beiden Alten
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denken können. Mir entging aber ni
- Seite 84 und 85:
4 Henriette war erleichtert, als si
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Sie ist unzerbrechbar, hast du mir
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hast du denn mit deinem Kleid gemac
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hat er doch aller Welt gezeigt, wie
- Seite 92 und 93:
5 Es schneite noch immer. Terrasse
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einkaufen bei Euch. Hä, machte der
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Fällt draußen noch der Novemberre
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Wiedersehen. Und er lauscht lange a
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Da drehte sich Tadeusz Piotrowski z
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Andreas! Da wacht er auf, sieht den
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Mit jedem Schritt nähern sie sich
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Anhängern, verschwinde aus meinem
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es zu breit ist? Verstehst du? Und
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esseren Bund zu begründen zu Deuts
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Bach. Die verhaltene Trauer des Sat
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unserer Bude in Erfurt - Hinterhof,
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Und Marianne war nicht mehr bei ihm
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Präsent zum Geburtstag, keine Gans
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5 Sacré matin, sacré chien, sacr
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eingeredet, ich kann ihn doch nun n
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Wenn du willst, sagt Heinrich. Ich
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Seit ca. 1984 Nachdichtungen aus de
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und „Der fingerkleine Kobold“