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Das Mirakel von Bernsdorf - Demo - Buch.de

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Bach. Die verhaltene Trauer <strong>de</strong>s Satzes griff auf ihn über und beruhigte ihn, da dachte er:<br />

Mir scheint, dieser Bach wusste hun<strong>de</strong>rt Jahre zuvor besser über Deutschlands Freiheit<br />

Bescheid als wir heute...<br />

Als das Adagio zu En<strong>de</strong> ging, dachte er an die ausgelassene Fröhlichkeit <strong>de</strong>s<br />

Schlusssatzes, war versucht, sie dieser tapferen Trauer hinzuzufügen, legte schon die<br />

Hän<strong>de</strong> auf die Tasten - nahm sie wie<strong>de</strong>r zurück. Woher, Johann Sebastian, nahmst du <strong>de</strong>nn<br />

so starke Zuversicht? So viel Lebenskraft? Wie nur war es dir möglich, die Trauer dieses<br />

Satzes - Trauer über das Sosein und das <strong>Das</strong>ein - aufzuheben in ursprünglich-naive Freu<strong>de</strong>,<br />

Freu<strong>de</strong> über das <strong>Das</strong>ein, das Ich-lebe? <strong>Das</strong> war doch nicht <strong>de</strong>ine Frömmigkeit. Denn dies<br />

ist ganz irdisch. Ist kraftvoller Lebenswille.<br />

Da war ihm zum ersten Mal bewusst gewor<strong>de</strong>n, was er an seinem Bach so liebte: diesen<br />

Lebenswillen, <strong>de</strong>r stark und ganz unpathetisch in all seinen Kompositionen aufklang, <strong>de</strong>r in<br />

<strong>de</strong>r Trauer nicht weniger zu hören war als in <strong>de</strong>r Freu<strong>de</strong>, <strong>de</strong>r die Weisheit dieser Musik<br />

ausmachte, ihre ursprüngliche Heiterkeit und ihre tiefe Traurigkeit, die nie Verzweiflung war.<br />

Spielerisch schlug er das b-a-c-h-Motiv an, variierte es über einige Takte, brach plötzlich<br />

ab, jetzt störte es ihn, dass die Musik nicht hörbar war. Eilig und ohne sich umzusehen, lief<br />

er die Treppe hinunter und aus <strong>de</strong>r Seitentür hinaus, zu <strong>de</strong>r sein Schlüssel passte,<br />

verschloss die Tür und dachte nicht an <strong>de</strong>n Mann, <strong>de</strong>n er damit einschloss.<br />

Denn Heinrich Marten war noch in <strong>de</strong>r Kirche.<br />

Er hatte <strong>de</strong>n Blasebalg getreten, solange die Orgel gespielt hatte. Als sie schwieg,<br />

minutenlang, glaubte er die Arbeit getan. Er erinnerte sich nicht mehr, wer ihn<br />

hierhergebracht hatte. Sehr bald erinnerte er sich auch nicht mehr, was er hier zu tun hatte,<br />

obwohl er versuchte, darauf zu kommen. Er erinnerte sich einzig an seinen Flugapparat in<br />

<strong>de</strong>r Kapelle. Und damit an sein Vorhaben, so bald wie möglich vom Turm <strong>de</strong>r Kirche aus<br />

abzufliegen. Also stieg er die Wen<strong>de</strong>ltreppe hinter <strong>de</strong>r Orgel nicht hinab, son<strong>de</strong>rn hinauf: in<br />

<strong>de</strong>n Turm. Er betrachtete aufmerksam die Schalllöcher, eins nach <strong>de</strong>m an<strong>de</strong>ren, und sagte<br />

laut: Sie sind zu klein. Da fiel sein Blick auf das Dach über ihm und einen losen Dachziegel<br />

darin, er lächelte zufrie<strong>de</strong>n und begann langsam und vorsichtig das Dach abzu<strong>de</strong>cken.

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