Das Mirakel von Bernsdorf - Demo - Buch.de

Schulen“, es wird Sie interessieren, fürchte aber, es passiert die preußische Zensur nicht.
Lieber Vater, sobald ich hier meine Verhältnisse geordnet und mich eingelebt habe, werde
ich Ihnen Genaues über meine Arbeit mitteilen. Auch hoffe ich, Ihnen demnächst etwas
Geld schicken zu können. Bitte grüßen Sie meinen guten Schwiegervater von mir, küssen
Sie den Jungen, es ist Sophies Kind, alles andere ist jetzt unwesentlich. Und vergessen Sie
nicht, an Sophies Todestag einen Strauß in meinem Namen auf ihr Grab zu legen.
Ihr dankbarer Sohn
Heinrich Marten“
„Dessau, den 5. März 1778
Mein lieber guter Vater, sobald der März beginnt, wächst meine Sehnsucht nach der Heimat
unermesslich, und ich bezwinge sie nur, indem ich Ihnen schreibe. Wie ich Ihrem letzten
Brief entnahm, haben Sie mehrere meiner Sendungen nicht erhalten, in denen ich Ihnen über
meine Arbeit am Philanthropin berichtete. Doch dass Sie das Geld erhalten haben, ist
entscheidend; meine begeisterten Berichte über unsere Pflanzschule müsste ich jetzt
widerrufen, hätten Sie sie gelesen. Zeit ist vergangen, die manches verändert hat; man soll
sich nicht in die Nähe seiner Götter begeben, sie könnten sonst aufhören, es zu sein. Doch
heilsame Enttäuschungen haben ihr Gutes, möglicherweise ist es besser, zu sagen: Man
soll sich in die Nähe seiner Götter begeben, denn wenn sie dadurch aufhören, Götter zu
sein, sind sie’s nie gewesen.
Vielleicht brauche ich mich gar nicht näher zu erklären? Sie warnten mich schon vor einem
Jahr, als Sie schrieben, ich solle nur nicht zu unkritisch gegenüber Herrn Basedow sein, und
ich wunderte mich sehr, wie gut Sie durch Briefe und Buchsendungen Ihres Hamburger
Freundes Suhrbier unterrichtet sind über Basedow und sein Vorhaben, ja sogar Pestalozzis
Experimente und Campes Pläne, eine pädagogische Enzyklopädie betreffend, kennen Sie.
So wird Sie nicht wundern, wenn ich Ihnen nun meine große Enttäuschung auf die Seele
lege, damit ich die meine ein wenig erleichtere. Was Herrn Basedow betrifft, so musste ich
sehr bald feststellen, dass allzu viel Eitelkeit und Selbstgefälligkeit in seinem Wesen ist,
wodurch er mir sehr fremd geworden ist. Außerdem gehört er zu den Erziehern, die außer
ihrem Willen keinen anderen kennen und gelten lassen wollen, es sei denn den der
Geldgeber. Das alles wäre nicht gar so schlimm, denn da er ein gutes Ziel verfolgt und im
Grunde ein herzensguter Mensch ist, mag man ihm einiges nachsehen. Viel schlimmer ist,
dass meine Begeisterung für das Philanthropin zu kühler Ernüchterung wurde, als ich
begreifen musste, dass wir zwar die Standesprivilegien im wesentlichen ignorieren, die
Privilegien des väterlichen Geldbeutels aber keineswegs, sodass ein genialer armer
Schlucker auch bei uns keine Aussicht auf ein Fortkommen hat, er mag sich drehen, wie er
will. Und ich hatte unter den armen Schülern unserer Anstalt, die - leider Gottes - eine
andere, viel schlechtere Ausbildung erhalten und den Bevorrechteten zu persönlichen
Diensten verpflichtet sind, so einen genialen Kerl entdeckt, ein wahres Wunder an
Denkvermögen, und habe ihn sehr ins Herz geschlossen. Wir waren um die Zeit alle von
Begeisterung über die Erklärung der Menschenrechte durch die tapferen Amerikaner erfüllt,