Das Mirakel von Bernsdorf - Demo - Buch.de
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Glück“ gehabt hat als Großvater Marten, weshalb er studieren durfte und Pfarrer wer<strong>de</strong>n<br />
(Glück hatte mit Geld zu tun, in diesem Fall zumin<strong>de</strong>st), während Großvater Marten nicht<br />
Musiker wer<strong>de</strong>n konnte, aber „eigentlich sehr, sehr froh“ war, dass sein alter Freund ihn<br />
hierher nach <strong>Bernsdorf</strong> geholt hat, wo er Lehrer und Küster und Bauer und Tierarzt und<br />
Bienenzüchter ist und <strong>de</strong>s Nachts in seinem Zimmer sitzt und Noten zu Papier bringt o<strong>de</strong>r<br />
Bücher liest. Und dann gab es noch ein Unglück, dass bei<strong>de</strong> Großväter gleichermaßen und<br />
wohl auch gleichzeitig betroffen hat und dass irgendwie mit ihm, Michel Marten,<br />
zusammenhängt, über das er aber nichts Genaues erfahren konnte. Und schließlich ist da<br />
noch ein Geheimnis, das die bei<strong>de</strong>n verwitweten Alten miteinan<strong>de</strong>r haben, <strong>de</strong>nn sie hocken<br />
häufig im Pfarrhaus hinter verriegelten Türen und verhängten Fenstern zusammen, und beim<br />
Spähen durchs Schlüsselloch hat Michel allerlei Merkwürdigkeiten erblickt: blaue Vorhänge,<br />
brennen<strong>de</strong> Kerzen, unerklärliche Geräte, die neben einer Bibel und einem Hammer<br />
angeordnet waren, und seltsames Gemurmel hat er vernommen, und Prädikant Janke ist<br />
nach einem rhythmischen Klopfen an <strong>de</strong>r Tür eingelassen wor<strong>de</strong>n. (Michel hat sich hastig in<br />
<strong>de</strong>r Küche versteckt.) Am nächsten Tag ist er in das betreffen<strong>de</strong> Zimmer eingedrungen, hat<br />
aber nichts, gar nichts Bemerkenswertes ent<strong>de</strong>cken können, sogar die Leuchter waren<br />
verschwun<strong>de</strong>n ...<br />
Nun läuft er also zum Pfarrhaus hinüber; ohne sich aufzuhalten, ohne nachzu<strong>de</strong>nken, stürmt<br />
er ins Wohnzimmer und - prallt zurück. Im ersten Augenblick, so erzählte er es später<br />
Henriette, sah ich nichts als die Kerzen und das hellblaue Tischtuch. Dann die bei<strong>de</strong>n Alten,<br />
wie sie mich entsetzt anstarrten, <strong>de</strong>nn sie hatten ja vergessen, die Tür zu verriegeln. Auf<br />
<strong>de</strong>m Tisch lag die Bibel. Daneben ein Hammer. <strong>Das</strong> übrige wusste ich damals nicht zu<br />
benennen: Winkelmaß, Zirkel, Senkblei, eben alle diese Symbole, die bei <strong>de</strong>n Freimaurern<br />
üblich sind. Denn in eine Freimaurerloge war ich hineingeraten, eine Zweimannloge, stell dir<br />
das vor! Mit Janke stan<strong>de</strong>n sie sich nicht mehr zum besten, <strong>de</strong>r re<strong>de</strong>te schon zu viel <strong>von</strong><br />
Stein und Weisen und Lebenselexier, vom Goldmachen und Geisterbeschwören, das war<br />
nichts für meine Großväter. O<strong>de</strong>r vielmehr: das war für sie wie das rote Tuch für <strong>de</strong>n Stier,<br />
verstehst du? Sie haben sich später redliche Mühe gegeben, mir das zu verlei<strong>de</strong>n, ihre<br />
Schuld war es gewiss nicht, dass ich Janke und Kienast auf <strong>de</strong>n Leim gegangen bin.<br />
Wessen Schuld <strong>de</strong>nn? Meine natürlich, Henriette! O<strong>de</strong>r soll ich sagen: die Schuld meiner<br />
Neugier? Und meiner Ungeduld? Ist es nicht ein verlocken<strong>de</strong>r Gedanke: Du fin<strong>de</strong>st <strong>de</strong>n<br />
Stein <strong>de</strong>r Weisen, und plötzlich hast du alles, was du brauchst, weißt auf alle Fragen eine<br />
Antwort, eine endgültige, unbestreitbar richtige Antwort? Die absolute Wahrheit, hinter <strong>de</strong>r<br />
nichts mehr zu suchen ist? <strong>Das</strong> war für mich so verlockend, dass ich Lessing und Her<strong>de</strong>r<br />
und Voltaire - kurz, die ganze Aufklärung darüber vergaß, die meine bei<strong>de</strong>n Alten mir<br />
beigebracht hatten, einfach vergaß, Henriette. Für lange, lange Zeit. Wie ein Rausch war<br />
das. Und sogar das gefiel mir - dieser Rausch, dieses Geheimnisvolle, diese Aufregungen.<br />
Auch an <strong>de</strong>r Freimaurerei meiner Großväter hatten mich <strong>von</strong> Anfang an die geheimnisvollen<br />
Riten und Symbole am meisten fasziniert. Die bei<strong>de</strong>n hielten zwar keine Verbindung mehr<br />
zur Großen Lan<strong>de</strong>sloge in Berlin; ihr Leitspruch war Lessings Satz, dass Loge sich zur<br />
Freimaurerei verhalte wie Kirche zum Glauben: Sie hielten viel <strong>von</strong> Freimaurerei und<br />
Glauben, wenig o<strong>de</strong>r gar nichts <strong>von</strong> Loge und Kirche. Und trotz<strong>de</strong>m spielten sie gern mit<br />
<strong>de</strong>n freimaurerischen Riten und Formeln und Symbolen; so ein bisschen Theater brauchten