Und Marianne war nicht mehr bei ihm, dachte Michel, war Bürgerin <strong>de</strong>r französischen Republik gewor<strong>de</strong>n ... Es ist schon schwer zu verstehen, sagte August. Ach was, sagte sein Vater, Junker bleibt Junker. Michel meinte, das sei doch wohl zu einfach erklärt, aber <strong>de</strong>r Alte blieb bei seinem Satz: Junker bleibt Junker, wie<strong>de</strong>rholte er, und wenn du mir jetzt ein Beispiel erzählst, wo das nicht so war, sag ich auch bloß: Na schön, Ausnahmen gibt’s eben immer, Marten-Michel. Da gab Michel es auf und erzählte keins <strong>de</strong>r vielen Beispiele, an die er dachte. Und als er nun, am folgen<strong>de</strong>n Morgen, sehr früh noch, nicht einmal sieben Uhr hatte es geschlagen, aus <strong>de</strong>r Kirche kam und ins Dorf ging, um sein Versprechen einzulösen: <strong>de</strong>n französischen Soldaten für diesen Tag Ruhe und Nichteinmischung zu befehlen, da sagte er sich sogar: Vielleicht hat er wirklich recht? Vielleicht be<strong>de</strong>uten alle meine schönen Beispiele gar nichts gegen seine Erfahrung?
4 Der Baron stand auf <strong>de</strong>r obersten Stufe <strong>de</strong>r Freitreppe: Haltung militärisch-stramm, Gesicht mürrisch-leutselig. In <strong>de</strong>n Knöpfen seiner Uniform funkelte die Sonne, die, schräg vom See her, durch die kahlen dünnen Äste <strong>de</strong>r hohen Bäume auf ihn fiel, <strong>de</strong>n Hauptakteur, Held <strong>de</strong>s Tages im Rampenlicht. Die Farbe seines Rocks glich <strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Schnees auf <strong>de</strong>n Treppenstufen. Zu Füßen <strong>de</strong>r Treppe stan<strong>de</strong>n sie im Schatten: die <strong>Bernsdorf</strong>er. Eng aneinan<strong>de</strong>rgedrängt, ein dunkler Fleck, hinter ihm Park und See, vor ihm die Treppe. Seitlich die Kin<strong>de</strong>r; Schulmeister Johannes Rietz humpelte an <strong>de</strong>r schnurgera<strong>de</strong>n Reihe entlang, schubste hier, rückte dort; aus Holzpantinen, unter <strong>de</strong>nen sich <strong>de</strong>r Schnee ballte, froren ein paar Dutzend dünne Beine hervor. Verstohlen hebt sich hier und dort eins und reibt sich am an<strong>de</strong>ren. Obwohl man darauf gewartet hatte, zuckten alle zusammen, als die Kin<strong>de</strong>r plötzlich zu singen begannen: „Lobet <strong>de</strong>n Herren, <strong>de</strong>n mächtigen König <strong>de</strong>r Ehren.“ Sie sangen laut, rissen die Mün<strong>de</strong>r weit auf, die Töne gefroren zu weißen Dampfwölkchen vor Kin<strong>de</strong>rgesichtern. Aus <strong>de</strong>r Tür heraus und über die Treppe schob sich nun das Gefolge <strong>de</strong>s Hel<strong>de</strong>n: Dorothea, Joachim, Henriette und Janke marschierten hinter <strong>de</strong>m alten Herrn auf. „Lasset <strong>de</strong>n Lobgesang hören.“ Die Mün<strong>de</strong>r klappten zu, die Dampfwölkchen wur<strong>de</strong>n kleiner. Pfarrer Kienast stand plötzlich neben <strong>de</strong>m lahmen Rietz, sprach die Freitreppe hinauf wohlgeformte, endlos lange Sätze, Lob <strong>de</strong>s Herrn <strong>von</strong> <strong>Bernsdorf</strong>, Glückwünsche, langes Leben und Gottes Segen und diese Re<strong>de</strong>nsarten; dann ließ er <strong>de</strong>n oben Stehen<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>n Hauptakteur, hochleben, dreimal, wie es sich gehörte, mit auffor<strong>de</strong>rn<strong>de</strong>r Geste zum dunklen Fleck <strong>de</strong>r <strong>Bernsdorf</strong>er hinter ihm; das Echo, dreimal, blieb nicht aus, klang aber gefroren. Nun wie<strong>de</strong>r die Kin<strong>de</strong>r; es läuft wie am Schnürchen, sagt das zufrie<strong>de</strong>ne Kienast-Gesicht. Es schien <strong>de</strong>n Herrn Pfarrer nicht zu stören, dass jetzt „Ein feste Burg ist unser Gott“ gesungen wur<strong>de</strong>, er sah sich nicht nach <strong>de</strong>n <strong>Bernsdorf</strong>bauern um, er sah <strong>de</strong>n August Lemke nicht, also störte ihn auch nicht dieses „Und wenn die Welt voll Teufel wär ...“. August Lemke, in <strong>de</strong>r ersten Reihe <strong>de</strong>s dunklen Flecks stehend, hatte bisher nervös die Hän<strong>de</strong> geknetet, ab und zu auch nach <strong>de</strong>m Zettel im Sonntagsrock gefühlt; jetzt stand er plötzlich still, und in seinen Augen leuchtete etwas, das ihm nur aus diesen Worten gekommen sein konnte: „Es muss uns doch gelingen ... Ein Wörtlein kann ihn fällen.“ Und mit Sicherheit ist anzunehmen, dass er weniger fromme Gedanken dabei hatte als weiland <strong>de</strong>r Herr Martin Luther zu Wittenberg. „<strong>Das</strong> Reich muss uns doch bleiben.“ August machte einen Schritt nach vorn, zog dabei <strong>de</strong>n Zettel aus <strong>de</strong>r Tasche, faltete ihn umständlich auseinan<strong>de</strong>r. Und las. (Er liest nicht stockend. Er war, das ist lange her, ein Lieblingsschüler <strong>de</strong>s Jakob Marten. Dich würd ich studieren schicken, wenn ich könnte, hat <strong>de</strong>r alte Marten zu ihm gesagt, aber ich kann nicht mal <strong>de</strong>n Michel schicken ...) Zuerst die Gratulation. Es fehlte nicht das Wort „untertänigst“. Dann die Bitte um Nachsicht - kein
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Impressum Elke Nagel (Willkomm) Das
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1. Kapitel 1 Die Glocke. Hörst du,
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Etüden, Präludien und Toccaten, d
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2 Hinter den letzten, scheppernden
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Sie warf ihm einen spöttischen Bli
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3 „Und hat ein Blümlein bracht .
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4 Jetzt war sie weit entfernt von s
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Inzwischen haben Sie sich in Ihre U
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5 Sie spielt mit den Vettern hasche
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Soll er doch beweisen, was er behau
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sie eben für ihr seelisches Gleich
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6 Henriette zuckte zusammen, als Jo
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er aus dem Schatten des anderen her
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Da erstarrten alle in Erwartung ein
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7 Ein kühler, früher Morgen. Herb
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Schließlich ist der Inspektor gega
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Der Baron? Ja gewiss, der. Aber was
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2. Kapitel 1 Mit hängenden Schulte
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das Kienast zusammenzucken ließ -
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Aber neugierig war ich. Ich wollte
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den Traum: „Der Orden der Rosenkr
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davor Angst, Henriette? Nein, du, i
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3 Wie lange schwieg die Orgel schon
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Aber Janke wollte Macht und Reichtu
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Das Gespräch wird mehr und mehr zu
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ehrlichem Herzen die absolute Wahrh
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4 Eine Woche nach der Beerdigung Ja
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kämen dabei auch ein. Zu allem nic
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Schulen“, es wird Sie interessier
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mehr geschrieben? Michel begreift,
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Da sagte die Frau neben ihm: Ja, se
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Uniform, die euch nicht gefällt? E
- Seite 66 und 67: 3. Kapitel 1 Henriette, während si
- Seite 68 und 69: welche nötig, und der Heirat mit E
- Seite 70 und 71: Vom Revolutionsfieber sind hier all
- Seite 72 und 73: 2 Es klopfte, Henriette zuckte zusa
- Seite 74 und 75: sagte: Ich will mit, Michel? Da has
- Seite 76 und 77: Ja, da wolltest du. Aber schon da h
- Seite 78 und 79: Dem Janke tust du einen Gefallen, h
- Seite 80 und 81: nämlich manchmal, die beiden Alten
- Seite 82 und 83: denken können. Mir entging aber ni
- Seite 84 und 85: 4 Henriette war erleichtert, als si
- Seite 86 und 87: Sie ist unzerbrechbar, hast du mir
- Seite 88 und 89: hast du denn mit deinem Kleid gemac
- Seite 90 und 91: hat er doch aller Welt gezeigt, wie
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- Seite 112 und 113: Bach. Die verhaltene Trauer des Sat
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- Seite 124 und 125: 6 Da stehen sie an der Seine, Heinr
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