Zur Politischen Ökonomie des gegenwärtigen Imperialismus ...

12 Günther Anders
von sich aus entscheidet oder im Auftrag; ob er nimmt oder gibt; ob
er Herr ist oder Knecht 9 .
Letzte schwächliche Echos davon, daß persönlicher Charakter vielleicht
doch eine Tugend sein könnte, sind allerdings noch vernehmbar.
Vor mir liegt das UPI-Photo einer unter freiem Himmel abgehaltenen
Wahlversammlung Nixons. Zwischen den normal-imbezill
beschrifteten Transparenten (mit den Texten „Hurrah for Dick" und
„Here come de Prez" (sie) und „Nixon for U.S." gibt es auch eines,
übrigens das bei weitem größte, dessen Text lautet: „Character is
your Qualification". — Das Auftauchen dieses Transparents ist um
so erstaunlicher, als es nicht Nixon ist, der sich als Eigentümer von
Charakter seinen Versammlungsteilnehmern empfiehlt, daß es vielmehr
diese Versammlungsteilnehmer selbst sind, die Nixon mitteilen,
daß er Charakter besitze. Ich befürchte, diese Mitteilung ist
für Nixon the shock of his life gewesen.
Dialektik der Rückeroberung
Am 2. Mai 1968 erfuhren wir durch. eine deutsche Rundfunkstation
— und die Nachrichtensprecherin konnte sich den Ton des Triumphs
nicht verkneifen —, daß es den „Ledernacken" in der Gegend von
Hué geglückt sei, ein Waffendepot zu erobern, diese Waffen sofort
umzudrehen und gegen den Feind einzusetzen. Daß den Ledernacken
das gelungen sei, das braucht gar nicht bezweifelt zu werden. Nur
ist der Bericht unvollständig, ihm fehlt ein wesentliches Element: die
Mitteilung nämlich, daß die meisten der von Amerikanern eroberten
Waffen ursprünglich amerikanische Waffen gewesen waren, die entweder
auf die Seite der Viet Congs hinübergeschmuggelt oder von
diesen im Kampf erbeutet, umgedreht und gegen die Amerikaner
eingesetzt worden waren. Die Stücke, die nunmehr in die Hände der
Ledernacken gefallen sind, stellen also keine echten Beute-, vielmehr
Rückerbeutungsstücke dar. Um mit der Erbeutung von Waffen, die
einem ursprünglich gehört hatten, die einem dann abgenommen
worden waren und durch die man sogar schwere Verluste erlitten
9 Offenbar hat der Gallup Poll eine Enquête darüber angestellt, ob die
amerikanische Bevölkerung einen Präsidenten mit eigener Meinung will
oder einen, der die durch die Opinion Polls festgestellte öffentliche Meinung
zum Ausdruck bringt. Das Resultat dieser Enquête scheint gewesen
zu sein, daß die Mehrheit der Bevölkerung einen von den Opinion Polls
unabhängigen Präsidenten wünsche. Denn Nixon hat in seinem Broadcast
„The Presidency" wörtlich erklärt: „Man erwartet vom Präsidenten, daß
er nicht den Fluktuationen der Public Opinion Polls folge, sondern sich
selbst für die besten Ideen, die die Administration ihm vorlege, entscheide."
(Newsweek, September 30, 1968.) Es ist nicht reizlos, daß Nixon,
nachdem er die Rede, der wir diesen Satz entnommen haben, gehalten
hat, stolz damit geprahlt hat: „There's an awful lot of me in it", womit er
zugibt, daß der größere Teil dieser Rede nicht von ihm stammt Und das
kann selbstverständlich auch von dem zitierten Satz gelten, daß er selbst
die Entscheidungen zu treffen habe. Es spricht vieles dafür, daß ihm selbst
diese „seine" Betonung der Selbständigkeit vorformuliert worden ist.