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Kritik mit Methode? - Rosa-Luxemburg-Stiftung

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1.1. Das Lager in seinen Kontrollfunktionen<br />

Die bundesdeutschen Gemeinschaftsunterkünfte sind als halboffene 2 Lager konzipiert,<br />

sie sind keine Internierungslager, die BewohnerInnen können prinzipiell aus<br />

den Lagern verschwinden und in die Welt der ›Illegalität‹ abtauchen. Theoretisch<br />

stellt sich hier die Frage nach der Funktionsweise dieser trotzdem sehr effektiven<br />

dezentralen Kontrolle und Verwaltung, die Mitte der 1990er weit über eine Millionen<br />

Menschen aufnahm, verwaltete, festsetzte und bis zum Behördenzugriff<br />

verwahrte. Es ist die Frage nach der Organisierung und administrativen Durchführung<br />

einer umfassenden bürokratischen Verwaltung zur Versorgung und Kontrolle<br />

unerwünschter MigrantInnen, deren Effektivität gerade in ihrer Dezentralität<br />

in Kombination <strong>mit</strong> einem materiellen Ausschluss aus der Gesellschaft<br />

besteht. Von den erhobenen empirischen Daten ausgehend fasse ich diese Form<br />

der Verwaltung als modernes Kontrolldispositiv (Foucault), welches sich von den<br />

einzelnen dezentralen Lagern ausgehend aufspannt als Kombination eines Einschlusses<br />

der Menschen im Lager und ihrer Exklusion aus der Umgebungsgesellschaft<br />

durch ein (partielles) Arbeitsverbot, die Auszahlung von Sachleistungen<br />

und rassistische Alltagsstrukturen, die zu einer Abwertung und rassistischen<br />

Markierung der symbolischen und kulturellen Kapitalien (Bourdieu) der BewohnerInnen<br />

führen.<br />

1.2. Das Lager im Verhältnis zur gesellschaftlichen Totalität<br />

Empirische Forschung ist immer eingebunden in die gesamtgesellschaftlichen<br />

Strukturbedingungen, die sie <strong>mit</strong>bestimmen. Sie wird sowohl von den Formen der<br />

politischen und ideologischen Herrschaft, als auch von den ökonomischen Grundlagen<br />

durchdrungen. Der sozialwissenschaftliche Fokus auf ein kleines empirisches<br />

Feld und seine Loslösung vom Gesamtarrangement der gesellschaftlichen<br />

Formation und seiner Herrschafts- und Ausbeutungsstrukturen führt deshalb<br />

zwangsläufig zu einer Verkürzung der Daten auf ihre aktualempirische Un<strong>mit</strong>telbarkeit<br />

und einer Verkennung der auch gegenseitigen Strukturbeeinflussungen des<br />

konkreten noch so kleinen Untersuchungsgegenstandes <strong>mit</strong> seiner gesamtgesellschaftlichen<br />

Ver<strong>mit</strong>teltheit.<br />

»Die empirische Sozialforschung kommt darum nicht herum, dass alle von ihr<br />

untersuchten Gegebenheiten, die subjektiven nicht weniger als die objektiven<br />

Verhältnisse, durch die Gesellschaft ver<strong>mit</strong>telt sind. Das Gegebene, die Fakten,<br />

auf welche sie ihren <strong>Methode</strong>n nach als auf ihr Letztes stößt, sind selber kein<br />

Letztes sondern ein Bedingtes. Sie darf daher nicht ihren Erkenntnisgrund – die<br />

Gegebenheit der Fakten, um welche ihre <strong>Methode</strong> sich müht – <strong>mit</strong> dem Realgrund<br />

2 Der Begriff der Halboffenheit betont die Gleichzeitigkeit von der Möglichkeit des Verschwindens aus den Lagern<br />

und dem Festsetzen der Menschen in den Lagern. Dieses Festsetzen wird eher durch symbolische Barrieren<br />

als durch Stacheldraht organisiert.<br />

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