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Kritik mit Methode? - Rosa-Luxemburg-Stiftung

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1.1. ›Unsichtbarkeit‹ als Herausforderung – wenn Gender-Geschlecht-<br />

Sexualität der Forscherin neugierig machen<br />

Im Verlauf der Forschung wurde deutlich, dass meine gewählte Zurückhaltung<br />

auch Anlass für Neugier war. Denn auf die Frage nach meinem Familienstand antwortete<br />

ich den Schüler*innen, dass ich über ›mein Privatleben‹ nicht reden wolle<br />

bzw. dies hier nicht Thema sei. Zu einer direkten Lüge konnte ich mich nicht<br />

durchringen, auch wenn die Antwort, ich sei Single oder ich hätte einen Freund,<br />

sicherlich der einfachere Weg gewesen wäre.<br />

So war für die Neuntklässler Cemal, Muhamed und Mark meine Uneindeutigkeit<br />

immer wieder Anlass für ›Späße‹. 9 Sie sprachen mich wiederholt darauf an, dass<br />

sie mir ›für meinen Freund‹ potenzsteigernde Präparate ›besorgen‹ könnten (Forschungstagebuch<br />

2. November 2004). Dieses beinahe ritualisierte Spiel war eine<br />

abgewandelte Version früherer Situationen, in denen sie mir angeboten hatten, unterschiedliche<br />

Drogen zu ›besorgen‹. In beiden Fällen lehnte ich dankend ab.<br />

Sicherlich ist ein Aspekt von Verhandlungen im Kontext der Forschung immer,<br />

die Forschungsbeziehungen zu ›pflegen‹ und das einmal aufgebaute Vertrauen zu<br />

erhalten. Es war mir daher auch in den Gesprächen <strong>mit</strong> Cemal, Muhamed und<br />

Mark wichtig, dass diese Schüler sich durch meine situative Ablehnung ihres Ansinnens,<br />

mehr über meinen Alltag zu erfahren, nicht persönlich abgelehnt fühlten,<br />

die Forschungsbeziehung also nicht litt. In der jeweiligen Situation fiel mir das<br />

nicht sonderlich schwer: Da besonders Cemal und Muhamed immer wieder unterschiedlichste<br />

Herausforderungen in unsere Gespräche einbrachten und auch austesteten,<br />

wie ich <strong>mit</strong> ›Grenzüberschreitungen‹ umging, führte eine situative Ablehnung<br />

nicht zu einem Einbruch der Forschungsbeziehungen. Zudem stand die<br />

Einforderung einer klaren vergeschlechtlichten Position – also zum Beispiel die<br />

Bejahung oder Widerlegung der Vermutung, ich hätte einen Partner – im Kontext<br />

weiterer ›Positionseinforderungen‹. 10 So verlangte Muhamed in einer anderen<br />

Situation, dass ich mich als ›stolze Deutsche‹, aber auch als ›Nicht-Nazi‹ positionierte.<br />

11<br />

Während mir der Umgang <strong>mit</strong> Fragen nach der ethno-nationalen Verortung und<br />

der politischen Positionierung, bei aller Zurückhaltung, die in der Forschung geboten<br />

ist, vergleichsweise leicht fiel, war die Thematisierung meiner Rolle als<br />

vergeschlechtlichte Forscherin problematischer und führte zu Verunsicherungen<br />

meinerseits. Gleichzeitig war das Bedürfnis der Jugendlichen, mehr über mich zu<br />

erfahren, legitim, schließlich waren sie ihrerseits bereit, mir über ihr Leben Auskunft<br />

zu geben. Die Herausforderungen der Schüler – und auch die Fragen anderer<br />

Schüler*innen im Kontext der Forschung – verstehe ich in diesem Sinn als<br />

9 Die hier verwendeten Namen sind von den Schüler*innen gewählte Pseudonyme.<br />

10 Die Frage nach meinem Familienstand wurde auch von anderen Schüler*innen gestellt, wurde dann aber nicht<br />

<strong>mit</strong> der gleichen Regelmäßigkeit und Varianz thematisiert.<br />

11 Diese Positionsforderungen kamen im Kontext von Gesprächen über ethno-nationale/-kulturelle Zugehörigkeiten<br />

auf.<br />

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