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Kritik mit Methode? - Rosa-Luxemburg-Stiftung

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Das spezifische Verständnis qualitativer <strong>Methode</strong>n und Methodologie hat seinen<br />

Ursprung im Ziel der Theoriebildung <strong>mit</strong>tels induktivistischer Orientierung 1<br />

und Entdeckung <strong>mit</strong>tels abduktiver Haltung 2 . Da<strong>mit</strong> wird eine dem deduktiven<br />

Vorgehen entgegengesetzte Zielstellung angestrebt. Das deduktive Vorgehen startet<br />

nach Popper (1994) <strong>mit</strong> einer bereits vorliegenden Aussage bzw. Theorie. Der<br />

Entstehungszusammenhang der Theorien, d. h. der Weg der Theoriebildung, welche<br />

Ziel qualitativer Forschung ist, wird von Popper nicht weiter thematisiert.<br />

Für qualitative ForscherInnen kann Theoriebildung nur unter Berücksichtigung<br />

des Kontextes erfolgen, d. h. dass sprachliche Äußerungen, Handlungen und deren<br />

Bedeutung in den (sozialen, biografischen, interaktionellen) Kontext eingebettet<br />

zu verstehen bzw. zu interpretieren sind. Hierbei orientieren sich die ForscherInnen<br />

i. d. R. am Alltagsgeschehen und/oder Alltagswissen der Untersuchten 3 .<br />

Schütz (1971) sieht darin sogar »die erste Aufgabe der Sozialwissenschaften die<br />

allgemeinen Prinzipien zu erforschen, nach denen der Mensch im Alltag seine Erfahrungen<br />

und insbesondere die Sozialwelt ordnet« (Ebd.: 68). Das Prinzip der<br />

Offenheit soll dabei absichern, dass die alltäglichen Relevanzsetzungen und Bedeutungszuschreibungen<br />

der Untersuchten in Erfahrung gebracht und im Verlauf<br />

der Untersuchung nicht vorschnell unter bekanntes Wissen subsumiert werden.<br />

Um der Kontextualität, der Orientierung am Alltagsgeschehen und der Offenheit<br />

in der qualitativen Forschung gerecht zu werden, werden Fälle analysiert, wobei<br />

das Verständnis, was ein Fall ist, von expliziter Einzelfallrekonstruktion, z. B. bei<br />

der Typenbildung nach Weber (1920) und der Objektiven Hermeneutik nach<br />

Oevermann (1974), bis zu von Beginn an vergleichenden Analysen in der Theoriebildung,<br />

für die beispielsweise die Grounded Theory (Strauss 1991) steht,<br />

reicht. Die Analyse in der qualitativen Forschung erfolgt gegenstandsangemessen,<br />

um zu sichern, dass die subjektiven Perspektiven und alltäglichen Handlungsweisen<br />

der Untersuchten auf den Gegenstand zur Geltung kommen und nicht durch<br />

<strong>Methode</strong>n selbst eingeschränkt werden. Der Prozess der Analyse gestaltet sich<br />

zirkulär. Unter der Zirkularität werden verschiedene Aspekte erfasst: Erstens ist<br />

der Forschungsprozess in der qualitativen Forschung nicht linear, d. h. es gibt<br />

1 Die Induktion schreitet von der Empirie, d. h. der Analyse von Einzelfällen zu Verallgemeinerungen. Den Ausgangspunkt<br />

bilden demnach empirische Daten und nicht ex ante-Theorien wie beispielsweise im Kritischen Rationalismus.<br />

Da aber vielfältiges theoretisches und persönliches Vorwissen in die Erhebung und Analyse der Daten<br />

einfließt, ist dieses Vorgehen nicht ausschließlich induktiv, sondern eher induktivistisch orientiert (Steinke<br />

1999: 21 f.).<br />

2 Pierce (1960: 113) beschreibt die Abduktion wie folgt: »The abduktive suggestion comes to us like a flash. It is<br />

an act of insight, although of extremely fallible insight.« »Der Schlussmodus Abduktion ist also nicht vollständig<br />

bewußt und kontrollierbar. Er folgt nicht einem operationalisierten Verfahren oder Gesetzen der formalen Logik.<br />

Dennoch sind Abduktionen nicht völlig willkürlich, sondern beziehen sich auf empirische Daten (das zunächst<br />

überraschende, nicht einordenbare Neue) und ein Vorwissen (das neu geordnet wird).« (Steinke 1999: 24). »Abduktives<br />

Schlussfolgern ist (…) keine <strong>Methode</strong>, aufgrund welcher genau abgehbarer Schritte jeder zu einem bestimmten<br />

Ergebnis kommt, sondern eine Einstellung, eine Haltung.« (Reichertz 1997: 110)<br />

3 Lüders und Reichertz (1986) unterscheiden drei Forschungsperspektiven, nämlich erstens, den Nachvollzug des<br />

subjektiv gemeinten Sinns, zweitens, die Deskription sozialen Handelns und sozialer Milieus und drittens, die<br />

Rekonstruktion deutungs- und handlungsgenerierender Tiefenstrukturen.<br />

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