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Kritik mit Methode? - Rosa-Luxemburg-Stiftung

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Die <strong>Kritik</strong> an der phallo- und androzentrischen Annahme eines universellen<br />

Penisneides, der <strong>mit</strong> dem Ödipuskomplex einhergeht, wurde ebenfalls aus vielfältigen<br />

Richtungen geübt. Es besteht kein Grund zu der Annahme, dass Mädchen<br />

von sich aus, ohne gesellschaftliche Ver<strong>mit</strong>tlung, welche auch heute noch nicht<br />

selten weibliche Geschlechtsorgane als bloßes Gegenstück bzw. mangelhafte<br />

Nachbildung der männlichen betrachtet, sich als minderwertig oder unvollständig<br />

betrachten sollten.<br />

»Abwesenheit ist kein natürlicher Tatbestand, sondern eine gesellschaftliche<br />

Bestimmung. […] Im Zuge der von ihm permanent betriebenen Verdinglichung<br />

macht Freud aus der unterlegenen Stellung der Frau eine Naturkategorie und stellt<br />

ein politisch strukturiertes Verhältnis von Über- und Unterordnung als einen<br />

natürlichen und anatomischen Sachverhalt dar. Freud hypostasiert ein gesellschaftlich<br />

geschaffenes Verhältnis zu einer Naturgegebenheit, wobei der Bereich<br />

des menschlichen Handelns, der diesem angeblichen ›Faktum‹ zugrunde liegt,<br />

[…] als eine Dimension der menschlichen Existenz, […] nicht nur verkürzt, sondern<br />

grundsätzlich dezimiert« wird (Lichtman 1990: 208).<br />

Ein interessantes psychoanalytisches Gegenmodell bietet Jessica Benjamin, unter<br />

Bezugnahme auf Janine Chasseguet-Smirgel (1977). Hiernach steht der Penis<br />

als Symbol für die Ablösung von der mütterlichen Allmacht (also nicht für mütterlichen<br />

Mangel), wobei es angemessener sei, den Vater statt des Phallus als symbolischen<br />

Machtträger zu betrachten (Benjamin 1993: 93 f.). Da<strong>mit</strong> greift sie allerdings<br />

klassisch auf vergangenheits-, d. h. kindheitsbezogene Deutungen zurück,<br />

anstatt an dieser Stelle gegenwärtige Geschlechterbeziehungen zu thematisieren 11 .<br />

Rohde-Dachser benennt dagegen die gesellschaftliche Funktion einer Theorie des<br />

Penisneids, die Frauen jenseits traditioneller Geschlechterbilder <strong>mit</strong> diesem<br />

»Stigma« belegen kann und keinen Raum lässt für Vorstellungen weiblicher<br />

Selbstverwirklichung (Rohde-Dachser 1991: 5).<br />

Ein anderes Problem freudscher Deutungsmuster ist, dass grundsätzlich das<br />

Bedürfnis nach Verfügungserweiterung über die eigenen Lebensbedingungen ausgeklammert<br />

wird – eine positive Gerichtetheit auf die Welt statt bloßer Triebversagung<br />

kann nicht gedacht werden.<br />

Dies ist allerdings auch ein grundlegender Fortschritt, der innerhalb der psychoanalytischen<br />

Theoriebildung erreicht wurde, rezipiert und weiterentwickelt<br />

von Benjamin: Sie konzeptualisiert den Menschen als soziales Wesen, welches<br />

sich freudig seiner Umwelt zuwendet, um sie zu erkunden, und für das soziale<br />

menschliche Kontakte primär sind: und zwar nicht in Form einer Objektbesetzung,<br />

sondern in einer Subjekt-Subjekt-Beziehung, in der gegenseitige Anerkennung<br />

und Freude an geteilten Gefühlen herrscht. Diese gegenseitige Anerkennung<br />

sei nur durch das Aufrechterhalten eines Spannungsverhältnisses zwischen Aner-<br />

11 Vgl. die fruchtbare Unterscheidung zwischen Vergangenheitsunbewusstem und Gegenwartsunbewusstem als<br />

zwei unbedingt auseinanderzuhaltenden Ebenen unbewussten Funktionierens bei Rohde-Dachser (1991: 43 ff.).<br />

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