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Kritik mit Methode? - Rosa-Luxemburg-Stiftung

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duktion hat daher nichts <strong>mit</strong> der Bestreitung der Realität der subjektiven Position<br />

zu tun oder da<strong>mit</strong>, den objektiven Sinnstrukturen eine determinierende Kraft in<br />

Bezug auf Bewusstseinsbildung zuzuschreiben. Dennoch bleiben Subjekte – klugerweise<br />

– an den kommunikativ erzeugten Sinnstrukturen orientiert und sichern<br />

so<strong>mit</strong> ihre zukünftige Anschlussfähigkeit und Verstehbarkeit. Umgekehrt heißt<br />

das aber auch, dass objektive Sinnstrukturen auf diese Weise Einfluss und Macht<br />

auf Subjekte ausüben. Sie markieren allgemein gültige Orientierungspunkte und<br />

führen daher zu kollektiven Fokussierungen und Aufmerksamkeitseinschränkungen.<br />

Wenn man nun nach dem kritischen Potenzial der Objektiven Hermeneutik<br />

fragt, dann dürfte klar sein, dass es nicht darin zu sehen ist, die subjektive Perspektive<br />

zum Ausgangspunkt und Zentrum jedweder Analyse zu machen. Vielmehr<br />

wird genau andersherum versucht, die gesellschaftlich produzierten Möglichkeiten<br />

von Lebenspraxis sichtbar zu machen. Die konkret untersuchten<br />

Fallstrukturen lassen sich dann als die Realisierung einer spezifischen Lebenspraxis<br />

erkennen, welche nach spezifischen Kriterien aus einem Raum von Möglichkeiten<br />

selektiert wurde und genauso gut auch anders hätte sein können. Diese am<br />

jeweils konkreten Datenmaterial stattfindende Herausarbeitung der Nicht-Natürlichkeit<br />

eines empirischen Phänomens ist m. E. schon ein erster notwendiger<br />

Schritt für jede kritische Beschreibung. ›Notwendige‹ und ›nicht veränderbare‹<br />

Sachverhalte lassen sich nicht sinnvoll kritisieren, sozial hergestellte jedoch<br />

schon. Die Objektive Hermeneutik ermöglicht es so<strong>mit</strong> latente, nicht un<strong>mit</strong>telbar<br />

sichtbare Muster der Selektion von sozialer Realität analytisch in den Blick zu bekommen<br />

und das betrachtete Phänomen so überhaupt einer <strong>Kritik</strong> zugänglich zu<br />

machen.<br />

Des Weiteren wichtig für einen kritischen Zugang zu sozialen Phänomenen –<br />

aber dies gilt auch generell für jede analytische Betrachtung – ist das Aufspüren<br />

latenter zuvor nicht bekannter Strukturen im Untersuchungsfeld. Die im Folgenden<br />

dargestellte Sequenzanalyse des Zeitungsartikels von Martin Kannegiesser<br />

lässt sich demnach als die Rekonstruktion der latenten Deutungsmuster, die in<br />

diesen Text eingehen und ihn strukturieren, verstehen. Der Text produziert auf<br />

diese Weise eine bestimmte Perspektive bezüglich des Tarifkonflikts und verleiht<br />

bestimmten Handlungskonsequenzen Plausibilität. Kannegiessers Artikel erscheint<br />

als besonders interessant, da sich die vordergründig arbeitnehmerinnenfreundliche<br />

oder doch zumindest sehr balanciert wirkende Position bei genauerer<br />

Analyse lediglich als der Effekt eines klugen Einsatzes von rhetorischen Mitteln<br />

erweist. Nochmals von diesem Einzelfall abstrahiert gesprochen, geht es also<br />

darum »soziale Deutungsmuster« nach ihrer »je eigenen ›Logik‹, ihren je eigenen<br />

Kriterien der ›Vernünftigkeit‹ und ›Gültigkeit‹, denen ein systematisches Urteil<br />

der ›Abweichung‹ korreliert« (Oevermann 2001: 5), zu befragen und sie nicht als<br />

einzig Mögliche erscheinen zu lassen bzw. nicht ihrer vielleicht freundlichen<br />

›Fassade‹ auf dem Leim zu gehen. Dennoch wäre es m. E. zu viel gesagt, wollte<br />

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