Kritik mit Methode? - Rosa-Luxemburg-Stiftung
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echtung ausgehen. Es wurde bei Nachfragen immer auch die Angst formuliert,<br />
dass mögliche Tonbandaufnahmen in die Hände der zuständigen Behörden geraten<br />
könnten. Alle befürchteten, dass sie durch eine Veröffentlichung ihrer <strong>Kritik</strong> in<br />
den Fokus der Behörden geraten und <strong>mit</strong> individueller Repression rechnen müssten.<br />
Der kurzfristige Aufbau einer Vertrauensbasis als Arbeitsbündnis (Steinke<br />
2004: 320; Resch 1998: 36 ff.) bestand ›nur‹ in Form des gegenseitigen Profitierens,<br />
das dafür notwendige Vertrauen erreichte ich durch die oben beschriebene<br />
Strategie, die Besuche nur in Begleitung eines <strong>mit</strong>fahrenden ehemaligen Bewohners<br />
durchzuführen. Die BewohnerInnen profitieren von der subjektiv wichtigen<br />
Situation, jemandem aus der Mehrheitsgesellschaft ihre Geschichte und Probleme<br />
<strong>mit</strong> der Entrechtung zu erzählen, verbunden <strong>mit</strong> der Hoffnung auf direkte Unterstützung<br />
bzw. der (anonymen) Skandalisierung dieser; ich selber konnte einen<br />
Teil dieser Daten als protokollierte Interviews für meine Arbeit benutzen.<br />
Innerhalb der für die Einzelfallanalyse ausgesuchten Lager in Berlin und Brandenburg<br />
konnte ich fast alle Interviews zur späteren Transkription und Auswertung<br />
auf Tonband aufnehmen. Dies wurde in Brandenburg aufgrund längerfristig<br />
bestehender Kontakte und in Berlin vor allem über das Vertrauensverhältnis der<br />
BewohnerInnen zu der Sozialarbeiterin möglich. In dem besuchten Brandenburger<br />
Lager war trotz des Vertrauensverhältnisses zu mir die Angst davor‚ in den<br />
Fokus der lokalen Behördenrepression zu geraten, immer wieder Thema. Die<br />
Leere der Heime und die Tatsache, dass nur wenige Menschen dauerhaft in dem<br />
Lager leben, verstärkte die Angst vor einer Dechiffrierung auch bei Zusage einer<br />
Anonymisierung. Meiner Einschätzung nach war diese Sorge unbegründet, meine<br />
Erklärungen halfen jedoch nicht über die Angst vor einer möglichen Repression<br />
hinweg, so dass ich in dem in Brandenburg fokussierten Lager W. einen Teil der<br />
Interviews nur protokollieren konnte. Beispiele aus Brandenburg zeigen, dass die<br />
Angst vor individueller Repression der Behörden keine unbegründete ist, da<br />
durch die lokal zuständige Ausländer- oder Sozialbehörde Repressionsmechanismen<br />
angewandt werden, wenn BewohnerInnen als widerständig auffallen.<br />
Die Angst der BewohnerInnen davor, dass die zuständigen lokalen Behörden<br />
die geführten Interviews als Protest gegen die Lagerbedingungen einordnen würden<br />
und sie so in den Repressionsfokus dieser gerieten, wird durch die Kombination<br />
angewandter Entrechtungsinstrumente und die strukturelle Unwissenheit<br />
über die eigenen Rechte verstärkt. Zur ›Bestrafung‹ widerständiger BewohnerInnen<br />
werden als Repressionsinstrumente angewandt: Kürzungen der Barleistungen<br />
oder der ausgegebenen Sachleistungen, eine verkürzte Erteilung des Duldungstitels<br />
von möglicherweise einer Woche oder nur wenigen Tagen, erhöhte Anstrengungen<br />
der Ausländerbehörde zur notfalls irregulären Organisierung von für eine<br />
Abschiebung notwendigen Pass(ersatz)papieren oder das verbale psychische Unterdrucksetzen<br />
der BewohnerInnen im Rahmen der obligatorischen Termine bei<br />
den Behörden. Weiter besteht die Möglichkeit, BewohnerInnen aus den sozialen<br />
Zusammenhängen ihres Heimes durch eine Verlegung in noch abgelegenere Un-<br />
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