Kritik mit Methode? - Rosa-Luxemburg-Stiftung
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›Helden‹ oft geschehen – versuchen viele Biographieforscherinnen durch eine<br />
stärkere Kontextualisierung und nicht ausschließliche Orientierung an Erfolg entgegenzuwirken.<br />
Ein möglicher Ansatz ist, den widersprüchlichen Beziehungen<br />
zwischen Individualität und intellektuellem Kontext, zwischen Privatheit und<br />
Wissenschaftsbetrieb, der Wechselwirkung zwischen Persönlichkeit, Forschungsinteressen<br />
und methodischen Präferenzen, nicht zuletzt der Rolle von ›Vision‹<br />
nachzuspüren (Orland 1995: 17-21).<br />
1.2. Formelle und informelle Strukturen der Wissenschaften:<br />
Hindernisse mehr für Frauen als für Männer<br />
Durch die Betrachtung von Frauen, die sich im Wissenschaftsbetrieb durchsetzen<br />
konnten, ist es möglich, Barrieren zum Vorschein zu bringen, die vielen Männern<br />
wahrscheinlich nicht einmal auffielen – oder deren Existenz als wissenschaftlich<br />
begründet herausgestellt würde. Institutionalisierte Wissenschaften sind stark<br />
hierarchisiert, was bereits an der deutlichen Qualifikations- und Dotierungsabstufung<br />
an öffentlichen Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen<br />
deutlich wird. Auf unterschiedlichen Ebenen ist nicht nur die Bezahlung unterschiedlich<br />
gestaffelt; je höher jemand in der Hierarchie steht, um so größer ist<br />
die Möglichkeit, auf untergebene Mitarbeiterinnen zurückzugreifen, Räumlichkeiten<br />
zu nutzen, Laborbedingungen zu bestimmen, zu publizieren, zu dozieren<br />
etc. Es entwickelt sich ein Selbstläufer aus Anerkennung, stärkerer Rezeption und<br />
sich daraus weiter stabilisierendem und steigerndem Renommee. 11 Dies erscheint<br />
zunächst geschlechtsneutral, ist es aber nicht, wie eine Studie von J. Cole (1987)<br />
belegt: Der Anteil der weiblichen zitierten Wissenschaftlerinnen beträgt nach der<br />
Zitationsanalyse von Cole nur 3 Prozent bei Soziologinnen und Psychologinnen<br />
und 2 Prozent bei Biologinnen (Wiesner 2002: 113 f.). 12 Selbst bei einem angenommenen<br />
Frauenanteil von 10 bis 20 Prozent Frauen in diesen Fachbereichen in<br />
den 1980er Jahren ist nach Cole eine vergleichsweise geringe Zitationshäufigkeit<br />
festzustellen (Wiesner 2002: 113 f.). Am Ende einer langen Kaskade der Anerkennung<br />
stehen Nobelpreise, die den Gipfel des Anreizsystems der Wettbewerbs- und<br />
Belohnungsstrukturen darstellen und <strong>mit</strong> einem starken Prestigegewinn verbunden<br />
sind (vgl. Fölsing 1990; Wiesner 2002: 100-105). 13 Rund zwei Prozent der<br />
Nobelpreise in den Bereichen Physik, Chemie, Medizin/Physiologie gingen seit<br />
11 So werden bspw. Arbeiten von Wissenschaftlerinnen, die sich bereits ›einen Namen gemacht‹ haben, wesentlich<br />
mehr gelesen, als die von unbekannteren Wissenschaftlerinnen (Wiesner 2002: 109 f.).<br />
12 Für einen Vergleich natur-, geistes- und sozialwissenschaftlicher Disziplinen siehe auch: Heintz 2003: u. a.<br />
226 f.<br />
13 »Die Nobelpreise gelten als das Symbol für Leistung und Ansehen schlechthin. Ihre [H. Zuckerman, HJV] Studie<br />
belegt, dass ihre Träger nicht in die Elite, sondern in die Ultraelite der Wissenschaft befördert werden, d. h.<br />
auf die höchste Ebene der sozialen Hierarchie der ›scientific community‹. NobelpreisträgerInnen konnten und<br />
können <strong>mit</strong> einem höheren Deputat, <strong>mit</strong> reichlich Unterstützung und <strong>mit</strong> wesentlich mehr Anerkennung rechnen<br />
als seine/ihre KollegInnen.« (Wiesner 2002: 97, zu: Zuckerman, H. (1977): Scientific Elite. Nobel Laureates in<br />
the United States. New York; Hervorhebung bei Wiesner).<br />
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