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Kritik mit Methode? - Rosa-Luxemburg-Stiftung

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dabei gerade um implizite Grundannahmen, die erst in der Differenzerfahrung <strong>mit</strong><br />

Personen, die dem akademischen Betrieb fern stehen, bewusst werden. Konkreter<br />

geht es etwa um die Fragen, wie sich die Forschungsbeziehung überhaupt herstellen<br />

konnte, welche institutionellen Ver<strong>mit</strong>tler dazu bemüht wurden, welche expliziten<br />

Forderungen von Seiten der Beforschten geäußert wurden, welche Abmachungen<br />

getroffen und gebrochen wurden etc.<br />

Mit dem Begriff der dynamischen Matrix übernimmt Bosse schließlich einen<br />

genuin gruppenanalytischen Begriff von Foulkes. Hier geht es um das »für eine<br />

bestimmte Gruppe typische, unverwechselbare und einmalige psychische Grundthema«<br />

(Bosse 1994: 83 f.) und die Frage, was in dieser spezifischen Gruppe aufgrund<br />

ihrer kulturellen, sozialen, geschlechtlichen und altersmäßigen Zusammensetzung<br />

und aufgrund ihrer spezifischen Aufgabe Bearbeitung finden und bewusst<br />

werden darf und was unbewusst bleiben muss.<br />

Der Initialszene kommt bei der Interpretation besondere Bedeutung zu, geht es<br />

hier doch um den ersten Ausdruck der sich im Gespräch ergebenden Forschungsbeziehung<br />

und die anfängliche Ausgestaltung der Forschungssituation. Sie wird<br />

idealtypischerweise verstanden als der erste Wortwechsel im Gespräch bzw. der<br />

Abschnitt des Transkripts, in dem sich alle Beteiligten schon einmal geäußert haben.<br />

Ausgehend von der Interpretation dieser Eingangsszene wird nun der restliche<br />

Text erschlossen, wobei unter anderem darauf fokussiert wird, wie sich die<br />

Beziehung verändert, wo und im Zusammenhang <strong>mit</strong> welchen Themen die Rollenangebote<br />

der Initialszene sich wiederholen, wo neue gemacht werden etc.<br />

Als Fallbeispiel für ethnoanalytische Gruppengespräche und ethnohermeneutische<br />

Interpretationsmöglichkeiten möchte ich im Anschluss einige Szenen aus<br />

meiner Forschung <strong>mit</strong> jugendlichen BildungsmigrantInnen aus indigenen Gemeinschaften<br />

in einem Internat in Guatemala anführen. Ich habe in diesem Internat<br />

vor einigen Jahren meinen Zivildienst als Betreuer der Jugendlichen geleistet<br />

und wollte nun die Gelegenheit nutzen zu untersuchen, in welcher Weise sich bei<br />

den Jugendlichen die für die Adoleszenz typischen Krisen <strong>mit</strong> der Modernisierungsambivalenz<br />

verschränken und welchen Raum zu einer inneren Ablösung und<br />

der Realisierung eines eigenen Lebensentwurfes das Internat bietet. Dazu habe<br />

ich sowohl geschlechtlich getrennte Gruppengespräche <strong>mit</strong> den Jugendlichen geführt,<br />

als auch den Tagesablauf in der Institution über vier Wochen teilnehmend<br />

beobachtet. Die Jugendlichen kommen aus indigenen kleinbäuerlichen Gemeinden,<br />

die zum Großteil in der näheren Umgebung der Stadt liegen. Ihre Muttersprache<br />

ist Q’eqchi’, die vierthäufigste Maya-Sprache in Guatemala. Sie haben<br />

die Grundschule in ihren Gemeinden abgeschlossen und besuchen nun das Internat,<br />

um eine moderne Ausbildung zu absolvieren, meist zur Grundschullehrerin<br />

oder zum Buchhalter. Ich möchte hier die Initialszene aus dem ersten Gruppengespräch<br />

<strong>mit</strong> den Mädchen vorstellen, zuvor jedoch zum besseren Verständnis – insbesondere<br />

der ethnographischen Interpretation – kurz den soziokulturellen Hintergrund<br />

der Jugendlichen beleuchten.<br />

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