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Kritik mit Methode? - Rosa-Luxemburg-Stiftung

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2. Adoleszenz und Modernisierung in den Q’eqchi’-Gemeinden Guatemalas<br />

Das Verhältnis zwischen den indigenen Gemeinden Guatemalas und dem ladinisch<br />

9 dominierten Nationalstaat lässt sich bis in die 1970er Jahre als Dialektik<br />

von Ausschluss und Verweigerung analysieren: nicht nur war die indigene Bevölkerungsmehrheit<br />

von nationalstaatlicher Seite von allen einflussreichen gesellschaftlichen<br />

Positionen ausgeschlossen (das ist sie auch heute noch weitgehend),<br />

die indigenen Gemeinden verfolgten ihrerseits gegenüber den Modernisierungsprojekten<br />

von staatlicher Seite eine Strategie der Verweigerung durch eine rigide<br />

Abschottung nach außen und repressive Integration nach innen. 10 Für die Jugendlichen<br />

in den indigenen Gemeinden bedeutete dies, dass ihnen die Schulbildung<br />

nicht nur von staatlicher Seite vorenthalten wurde, sondern auch, dass ihre Eltern<br />

ihnen die Schulbildung normalerweise verweigerten, um sie an die traditionelle<br />

kleinbäuerliche Lebensweise zu binden, die die Gerontokratie in den Gemeinden<br />

und die Kohäsion des Kollektivs durch traditionelle Integrationsmechanismen<br />

garantierte. Dementsprechend gab es in den indigenen Gemeinden Guatemalas<br />

allgemein, und insbesondere in den Q’eqchi’-Gemeinden in den noch ländlicher<br />

geprägten Regionen des Landes, bis vor wenigen Jahrzehnten noch keine Adoleszenz<br />

im Sinne einer eigenständigen Übergangsphase zwischen Kindheit und Erwachsensein.<br />

11 Als erwachsen galt eine Person normalerweise, wenn sie verheiratet<br />

war, was in der Regel zwischen 14 und 18 Jahren stattfand. Die Heirat erfüllte<br />

die Funktion eines Initiationsritus, in dem den Jugendlichen der traditionale Lebensentwurf<br />

des Kollektivs oktroyiert wurde, den sie fortzuführen hatten. Über<br />

diese Tradition wurden sowohl die patriarchale Gerontokratie als auch der Zusammenhalt<br />

der Gemeinschaft gesichert und die Individualisierung verhindert.<br />

2.1. Weibliche Adoleszenz<br />

In den indigenen Gemeinschaften Mittelamerikas herrscht normalerweise eine<br />

klare geschlechtsspezifische Arbeitsteilung, die jedoch im Alltag jeweils neu<br />

ausgehandelt wird. Frauen sind von direkten politischen Entscheidungen traditionellerweise<br />

ausgeschlossen. Dennoch wird in der Literatur das Geschlechterverhältnis<br />

oftmals als relativ gleichberechtigt charakterisiert, da die Ehefrau die<br />

Kontrolle über den Bereich des Haushalts habe, und der Ehemann daher alle An-<br />

9 Die Bezeichnung »ladino« oder »ladina« wird in Guatemala seit der Unabhängigkeit des Landes für die mestizische<br />

Bevölkerung und ihr Selbstverständnis verwandt, das im Wesentlichen durch die Abgrenzung von den Indígenas<br />

definiert ist (Wilson 1995; S<strong>mit</strong>h 1995).<br />

10 Die Ethnohermeneutik analysierte die indigenen Traditionen dieser Region nicht als »Zurückgebliebenheit« sondern<br />

als kollektive Abwehrmechanismen, die ein Eindringen der kapitalistischen Moderne und die da<strong>mit</strong> verbundene<br />

Individualisierung, Desintegration des Kollektivs und mögliche Proletarisierung verhindern sollten (Bosse<br />

1979).<br />

11 Für viele gibt es sie auch heute nicht: Guatemala ist nach wie vor das Land <strong>mit</strong> der höchsten Analphabetenrate<br />

auf dem amerikanischen Kontinent.<br />

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