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Kritik mit Methode? - Rosa-Luxemburg-Stiftung

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eine Phase der Überforderung und Sprachlosigkeit. Abschließend stürzen die TeilnehmerInnen<br />

sich dann auf ein erfreuliches Thema: das Keks essende Kind. Auch<br />

hier lassen sich Rückschlüsse auf die gesellschaftlich geprägten Hintergründe der<br />

GruppenteilnehmerInnen ziehen. Die Gruppe bestand aus weißen Deutschen, die<br />

alle wissenschaftlich tätig sind. Keiner der Anwesenden hat in seinem Leben vergleichbare<br />

prekäre Erfahrungen gesammelt, wie sie bei Familie Seyan offensichtlich<br />

sind. Die geäußerte Überforderung könnte dementsprechend auch als Anzeichen<br />

einer Befremdung gedeutet werden und Hinweise auf Strukturen des Aufnahmelandes<br />

geben. Geht man davon aus, dass die Reaktionen der TeilnehmerInnen<br />

nicht nur subjektive Befindlichkeiten, sondern gleichsam Ausdruck kulturell objektiver<br />

Gefühls- und Denkstrukturen sind, kann man sie auch als Hinweise auf<br />

Aspekte der Beziehungskonstellation zwischen den KlientInnen und MitarbeiterInnen<br />

des EPZ verstehen. So gesehen reinszeniert sich im freien Assoziationsprozess<br />

der TeilnehmerInnen unbewusst das verdrängte Gesellschaftliche innerhalb<br />

der EPZ-Betreuung. Auch dort muss <strong>mit</strong> Anteilnahme, Mitleid, Hilflosigkeit<br />

und Ohnmacht, genauso wie <strong>mit</strong> Schuldgefühlen und Überforderung umgegangen<br />

werden. Dies wirkt auf die betreuerische Situation und sollte in der Analyse beachtet<br />

werden.<br />

Die im Interviewausschnitt auf verschiedenen Ebenen präsentierten Lebensumstände<br />

der Familie Seyan sind Ausdruck und Produkt besonderer gesellschaftlicher<br />

Verhältnisse. Die asylpolitischen Restriktionen wirken sich explizit auf Arbeitsmöglichkeiten,<br />

Gesundheitsversorgung und Bewegungsfreiheit und implizit<br />

auf die emotionale und soziale Integrationsfähigkeit aus. Herr Seyans Fähigkeit,<br />

sich an diese Lebensumstände anders als lethargisch anzupassen, ist gering und<br />

wird durch die prekären Verhältnisse keinesfalls mobilisiert. Es zeigt sich deutlich,<br />

dass eine Veränderung des Gesundheitszustandes von Herrn Seyan, ebenso wie<br />

ein soziales und kulturelles Einlassen der ganzen Familie auf ihre (nicht mehr<br />

ganz so) neue Umgebung in der Schweiz nur gelingen kann, wenn ausreichende<br />

Sicherheiten geschaffen werden.<br />

5. Diskussion der <strong>Methode</strong><br />

Die Darstellung des Interpretationsprozesses und die exemplarische Präsentation<br />

der Auswertung zeigt, wie die Deutungsarbeit der ethnopsychoanalytischen<br />

<strong>Methode</strong> Zugänge zu den Befindlichkeiten der Subjekte und zu den latenten Dynamiken<br />

der Forschungssituation eröffnen kann. Die ethnopsychoanalytische<br />

Deutungswerkstatt bietet eine Auswertungsvariante, die deutlich über das Erkenntnispotential<br />

rein inhaltsanalytischer Verfahren hinausgeht: Durch die Erschließung<br />

und Einbeziehung von unbewussten Intentionen und Bedeutungen, genauso<br />

wie über das Wahrnehmen und Aufdecken immanenter gesellschaftlicher<br />

Strukturen und Dynamiken, macht sie das »unsichtbare« sichtbar und da<strong>mit</strong> re-<br />

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