Kritik mit Methode? - Rosa-Luxemburg-Stiftung
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durch eine übergeordnete Instanz beruhigt werden könne 17 . Da dadurch die ethnischen<br />
Identitäten zerstört werden, entstehe ein »Identitätsvakuum«, welches<br />
durch Angst, die Wiederholung frühkindlicher Projektionsvorgänge und schließlich<br />
Fremdenfeindlichkeit gefüllt werde (ebd.: 172 ff.). Auffällig ist, wie hier ganz<br />
selbstverständlich ein Zusammenhang zwischen Angst und Regression behauptet<br />
wird, spezifiziert von Erdheim als »Infantilisierung«, von Nadig als »gefährliche<br />
Dekompensation«, und wie als problematisch eingestufte Sachverhalte als »Angelegenheit<br />
defizitärer, infantilisierter Individuen« (Holzkamp 1995b: 16) betrachtet<br />
werden. Letztere werden so als gleichwertige (potentielle) GesprächspartnerInnen<br />
von vorneherein ausgeschlossen.<br />
Im Mittelpunkt der ethnopsychoanalytischen Forschung steht die Beziehung<br />
zwischen ForscherIn und Beforschter nach dem Konzept von Übertragung und<br />
Gegenübertragung. Da<strong>mit</strong> wird dem Umstand Rechnung getragen, dass die Beforschte/AnalysandIn<br />
die gegebene Gesprächssituation nach anderen als den un<strong>mit</strong>telbar<br />
offensichtlichen Gesichtspunkten beurteilt und ihre Reaktionen sich<br />
nicht (nur) auf das wirkliche Sein der ForscherIn/AnalytikerIn beziehen, sondern<br />
auf Setzungen der ersteren beruhen. In der Ethnopsychoanalyse werden diese Setzungen<br />
auch als sozial oder politisch bedingt rezipiert, z. B. wird die Rolle einer<br />
weißen ForscherIn in einer nicht-weißen beforschten Umgebung thematisiert.<br />
Entsprechend werden Gegenübertragungen der ForscherIn in Form von Phantasien,<br />
Gedanken, Abneigung etc. (u. U. erst nachträglich in der Forschungsauswertung)<br />
analysiert, um zu adäquateren Forschungs- und Erkenntniszielen zu<br />
gelangen. Mit diesem Konzept kann Nadig auf die postkolonialen und konstruktivistischen<br />
<strong>Kritik</strong>en eingehen, die jegliche ethnologische Beschreibung für typisierende<br />
und ethnisierende Zuschreibungen halten, denn da<strong>mit</strong> wird es möglich, den<br />
narrativen Charakter ethnologischer Konstruktionen hervorzukehren und »ganz<br />
präzise den eigenen Standort zu beschreiben und den Prozess des kulturellen Austausches<br />
zwischen dem Forscher und seinem Gegenüber nachzuzeichnen« (Nadig<br />
2004: Abs. 36).<br />
Jedoch, auch wenn Nadig verhindern will, »dass eine Deutungsinflation entsteht,<br />
aus irgendwelchen beliebigen Gefühlen heraus, die dem Gegenüber nicht<br />
gerecht werden und es pathologisieren« (ebd.: Abs. 35), verbleibt die Deutungshoheit<br />
über die Prozesse und Inhalte von Übertragung und Gegenübertragung bei<br />
der ForscherIn. Diese wird so<strong>mit</strong> als die vernünftige WissenschaftlerIn konstruiert,<br />
welche die von ihr gewählten Deutungsmuster auf die ErforschteN anwendet.<br />
Indem unter dem Rückgriff auf psychoanalytische Theoreme von Ödipuskomplex<br />
bis Allmachtsphantasien die Verarbeitungsweise von triebhaften und gesellschaftlichen<br />
Widersprüchen als mehr oder weniger krankhaft eingestuft wird, außerdem<br />
<strong>mit</strong> der Annahme der determinierenden Kindheit und Jugend bei abweichenden<br />
17 Auf eine materialistische Staatskritik, die dem Staat gänzlich andere Funktionen zuschreibt, als dies Erdheim tut,<br />
kann hier nur am Rande verwiesen werden. Vgl Poulantzas 2002.<br />
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