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Kritik mit Methode? - Rosa-Luxemburg-Stiftung

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viewerin stellt. »Hör mal, meine Mann viel krank, Du verstehen?« wäre fast so, als<br />

ob Frau Seyan einen Urteilsspruch der Interviewerin einfordern würde. Eine andere<br />

Teilnehmerin schließt sich an und sagt, dass es etwa so wäre, als ob Frau<br />

Seyan ein: »Ja, auch ich habe gesehen, dass Ihr Mann krank ist. Das stimmt!« von<br />

der Forscherin hören möchte. Ihrer Meinung nach deutet diese Szene auch noch<br />

auf weitere Rollen der Interviewerin hin: Die der Zuhörerin, der Beraterin. Andere<br />

Gruppen<strong>mit</strong>glieder ergänzen, dass die Interviewerin aber auch als Trösterin angefragt<br />

ist oder auch in der Rolle der Therapeutin. Diese Assoziationen bringen eine<br />

Teilnehmerin dazu, sich Gedanken über den Hintergrund der Forscherin zu machen:<br />

»Indem Frau Seyan die Interviewerin als Schlichterin und Betreuerin anspricht,<br />

verweist sie doch auch auf den Status, den sie der Person zuweist. Die<br />

deutsche, weiße Forscherin, die gekommen ist, um über die Betreuung im EPZ zu<br />

sprechen, kann man eventuell <strong>mit</strong> den MitarbeiterInnnen des Zentrums vergleichen.«<br />

Ein anderer ergänzt: »Ja, sie ist nicht einfach ein Gast, sondern repräsentiert<br />

durch ihr Forschungsinteresse und dadurch, wie sie das Gespräch führt, auch<br />

einen spezifischen Typ.« Ein anderer Teilnehmer bringt ein, dass im Gegensatz zu<br />

den bedrohlichen Kontakten <strong>mit</strong> den Behörden, die Interviewerin hier allerdings<br />

als eine mögliche Unterstützerin von der Familie wahrgenommen wird. Diese Annahme<br />

stärkt sich durch den Umstand, dass Frau Seyan an einer hier nicht zitierten<br />

Stelle des Interviews die Interviewerin explizit um Hilfe bei Problemen <strong>mit</strong> dem<br />

Sozialamt bittet. Nach diesem Themenfeld wird es ruhig in der Runde, scheinbar<br />

ist die Luft raus, einige wirken müde, andere einfach nur sprachlos. Nach einigen<br />

Minuten des Schweigens ergreift eine Teilnehmerin wieder das Wort und weist kichernd<br />

auf das kleine Kind hin, welches, wie im Transkript vermerkt, Kekseessend<br />

<strong>mit</strong> dem Aufnahmegerät experimentierte. Die Anwesenden stellen sich vor,<br />

wie das Kind die Kekskrümel in das Mikrophon pustet und eine entspannte, lustige<br />

Stimmung kommt auf. Auch wenn ich <strong>mit</strong>lache, kommt mir diese plötzlich sehr<br />

heitere Stimmung merkwürdig vor und ich äußere meinen Eindruck. Auf diesen<br />

Umstand angesprochen, sagt die Teilnehmerin, dass sie das bedrückende Gefühl,<br />

welches das Leid der Familie ausgelöst hatte, nicht mehr aushalten wollte; entsprechend<br />

groß wäre der Reiz gewesen, die emotionale Überforderung einfach auszublenden<br />

und sich erfreulicheren Themen zuzuwenden. Andere nicken und sagen,<br />

dass sie irgendwie überfordert sind, keine Lust mehr haben.<br />

4. 5. Fazit<br />

In der Deutungsgruppendiskussion kristallisierten sich anhand der ausgewählten<br />

Textstellen drei Themenkomplexe heraus. Der eine kreist um den Einfluss der<br />

gesundheitlichen und der asylpolitischen Verhältnisse auf die familiären Lebensumstände.<br />

Der zweite betrifft die große Belastung, die die einzelnen Familien<strong>mit</strong>glieder<br />

jeweils aushalten müssen, und der dritte zeigt den Zusammenhang der<br />

Rahmenbedingungen und die verschiedenen Verarbeitungsmodi.<br />

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