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Kritik mit Methode? - Rosa-Luxemburg-Stiftung

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hungsdynamische Aspekte etc.) wirkte sich fördernd und unterstützend auf die individuelle<br />

Erzählstruktur der GesprächspartnerInnen aus und bestätigte einmal<br />

mehr, dass lebensgeschichtliche Episoden nie losgelöst von vergangen Erfahrungen<br />

bestehen. Jede Episode stellt einen Übergang dar, der biographische Prägungen<br />

beinhaltet und diese an neuen Erfahrungen überprüft, verwirft oder <strong>mit</strong> diesen<br />

kombiniert. Im Falle der episodisch orientierten Interviews <strong>mit</strong> ehemaligen KlientInnen<br />

des EPZ bedeutete dies konkret, dass ökonomische, juristische, politische,<br />

soziale, kulturelle und psychische Aspekte in jeder Lebenssituation wirken. Die<br />

Wirkung dieser umfassenden oder nach Marcel Mauss »totalen« Dimensionen des<br />

Menschen lassen sich im- und explizit in jeder Begegnung ausmachen und sollten<br />

gerade bei einer ethnologischen Betrachtung der Lebenswirklichkeit nicht durch<br />

eine li<strong>mit</strong>ierende Konzentration auf vorbereitete Leitfragen unterbunden werden.<br />

Zur Auswertung der Gespräche, die ich <strong>mit</strong> ehemaligen BewohnerInnen des<br />

Zentrums geführt habe, bediene ich mich innerhalb eines <strong>Methode</strong>n-Sets auch<br />

der ethnopsychoanalytischen Deutungswerkstatt. Ich verspreche mir von dieser<br />

Erweiterung, dass ich neben einer Analyse manifester Sinngehalte (konkrete Aussagen<br />

über Erlebnisse etc.) auch Zugang zu den unbewussten Dynamiken des Feldes<br />

bekomme.<br />

4. Praktische Arbeit und Ergebnisse<br />

der ethnopsychoanalytischen Deutungswerkstatt<br />

Der Text, der die Grundlage der Deutungsarbeit in der Deutungswerkstatt war, entstammt<br />

einem ca. 2-stündigen narrativen, episodischen Interview, das ich Ende<br />

2006 <strong>mit</strong> der armenischen Familie Seyan 4 geführt habe. Herr Seyan leidet an einer<br />

starken Depression. Die traumatischen Erlebnisse, die er als politisch verfolgter Aktivist<br />

erfahren hat (Ausgrenzung, Folter, Gefängnis etc.), veranlassten ihn und seine<br />

Familie zur Flucht aus dem Heimatland. Ihre Aufnahme in der Schweiz gestaltete<br />

sich als Postenlauf von einem Durchgangszentrum zum nächsten und endete später<br />

aufgrund eines medizinischen Gutachtens im betreuten Wohnen des Ethnologisch<br />

Psychologischen Zentrums. Durch die Schließung des Projekts musste die Familie<br />

die Einrichtung verlassen und sich wieder neu in einer Sozialwohnung eingewöhnen.<br />

Von einer tagtäglichen Betreuung fand ein Wechsel in eine Ämterbetreuung<br />

statt, die sich größtenteils um die ökonomischen Aspekte kümmert. Zusätzlich zu<br />

den verschiedenen Änderungen der Wohn- und Betreuungsumstände besitzt die Familie<br />

einen ungesicherten Aufenthaltsstatus. Die Möglichkeit einer eventuellen Abschiebung<br />

bereitet Unsicherheit und existenzielle Ängste. Herr Seyans ständige Müdigkeit,<br />

Vergesslichkeit, Traurigkeit und Antriebslosigkeit, die deutliche Aspekte<br />

seines psychischen Leidens sind, beeinflussen das Familienleben zusätzlich.<br />

4 Herkunft und Name der Familie wurden anonymisiert.<br />

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