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Kritik mit Methode? - Rosa-Luxemburg-Stiftung

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wird. 18 Dass dies im Großen und Ganzen so ist, muss (und kann wohl) hier ohne<br />

weitere Ausführungen gesellschaftstheoretisch vorausgesetzt werden. Aus psychologischer<br />

Perspektive gilt jedoch: »Dass dieses ›Einverständnis‹ im konkreten Fall<br />

widerspruchslos erfolgt, ist nicht vorhersagbar – ob, wie und warum die Individuen<br />

widerspruchslos oder widerständig agieren, ist eine i. e. S. psychologische Fragestellung<br />

und sie ist empirisch offen.« (Schmalstieg 2006: 9) Allerdings bietet eine gesellschaftskritische/ideologietheoretische<br />

Auffassung von »gesellschaftlichen Verhältnisse[n]<br />

in ihren politisch-ideologischen Organisationsstrukturen« (Holzkamp<br />

1983: 363) den bedeutungsanalytischen Hintergrund, vor dem diese psychologische<br />

Problematik gefasst wird 19 : »Indem die Individuen ihr alltägliches Leben in ... so bestimmten<br />

Handlungs-, Beziehungs- und Denkmöglichkeiten bewältigen, reproduzieren<br />

sie <strong>mit</strong> der eigenen Existenz gleichzeitig die bürgerlichen Klassenverhältnisse<br />

als deren unbefragter Voraussetzung.« (ebd.: 364) Beispielsweise kann ich der<br />

Auffassung sein, dass Studiengebühren ein Instrument sind, über das Ungleichheit<br />

(in Bezug auf »bildungsferne« Schichten, Frauen, Migrant/innen etc.) hergestellt<br />

wird, dennoch muss ich sie bezahlen, um nicht exmatrikuliert zu werden. Oder: Ich<br />

kann der Auffassung sein, dass die kapitalistische Produktionsweise überwunden<br />

werden müsste, bin aber gezwungen, ihre Denk- und Praxisformen tagtäglich zu reproduzieren<br />

– etwa indem ich meine Lebens<strong>mit</strong>tel in der Warenform aneigne, meine<br />

Arbeitskraft in der Lohnform realisiere etc. Gleichzeitig enthalten Bedeutungen<br />

aber »auch Handlungs- und Denkmöglichkeiten über die bürgerlichen Formen hinaus«,<br />

z. B. »Möglichkeiten des un<strong>mit</strong>telbar-kooperativen Zusammenschlusses zum<br />

Widerstand gegen die Fremdbestimmtheit« (ebd). Beispielsweise kann ich dem Mechanismus<br />

der Produktion von Ungleichheit über Studiengebühren Widerstand entgegen<br />

setzen, indem ich mich an der Mobilisierung von Kampagnen beteilige.<br />

Wenn auf diese Weise zwar nachvollziehbar ist, dass und wie Formen restriktiver<br />

Handlungsfähigkeit »begründet« sein können, muss doch angesichts der Annahme,<br />

dass Menschen sich nicht bewusst schaden, angenommen werden, dass<br />

diese eben i. d. R. nicht bewusst sind, sondern vielmehr Prozesse der »›Verdrängung‹,<br />

Leugnung, Dissoziation, Mystifizierung« (ebd.: 379, Herv. entf.) implizieren,<br />

wobei »in den dazu herausgebildeten ›Techniken‹ und ›Mechanismen‹ nicht<br />

nur die Resultate der Realitätsausklammerung, sondern auch diese selbst ›unbewusst‹<br />

gemacht und gehalten werden« (ebd.: 380, Herv. entf.). Dynamisch Unbewusstes<br />

und Ideologisches stehen insofern nicht jenseits des Begründungsdiskurses,<br />

sondern sind selbst in seinem Rahmen zu verhandeln. 20<br />

18 Das angesprochene Verständnis von Ideologie/Ideologischem kann hier nicht ausgeführt werden. Vgl. dazu Rehmann<br />

(2004).<br />

19 Bei Holzkamp (1983) durchkreuzen sich verschiedene Vorstellung vom Ideologischen, die m. E. teils problematisch<br />

sind, insbesondere dort, wo sie nahe legen, im Kurzschluss zwischen Individuum und Gesellschaft eine Verantwortlichkeit<br />

der Einzelnen für die Verhältnisse anzunehmen. Dies hat insbesondere auch Konsequenzen für<br />

die kritische Durcharbeitung von antirassistischer Bildungsarbeit, in der in Teilen ein problematischer Moralismus<br />

vorherrscht. Diese Problematik werde ich am Beispiel der Debatten um Konzepte aus dem Critical-Whiteness-Diskurs<br />

ausarbeiten (vgl. Reimer 2007b, i. E.).<br />

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