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Kritik mit Methode? - Rosa-Luxemburg-Stiftung

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Aus Sicht einer poststrukturalistischen Wissenschaftshaltung sollte die Diskurstheorie<br />

unabgeschlossen bleiben. Die Rekonstruktion von Diskursen bringt<br />

Diskurse hervor, die nicht per se einen höheren Wirklichkeitsanspruch behaupten<br />

oder Wahrheitswert beanspruchen können. Auch die interpretative Rekonstruktion<br />

von Diskursen verbleibt, wie jegliche Rekonstruktionsverfahren, in spezifischen<br />

Horizonten. Auch wenn das Sagbare und Unsagbare aufgedeckt und diese Grenzen<br />

überschritten werden sollen, bewegen sich auch DiskursanalytikerInnen innerhalb<br />

des historischen Archivs und sind in methodisch erzeugten Perspektiven<br />

befangen. Sie erzeugen spezifisches Wissen und da<strong>mit</strong> zugleich auch Nicht-Wissen,<br />

das es zu reflektieren gilt. Die Rekonstruktion eines Diskurses ist also immer<br />

auch ein Konstruktionsakt. Diskurs ist daher immer nur als eine Vielzahl von Diskursen<br />

denkbar. Um die poststrukturalistische Haltung einnehmen zu können,<br />

müssen alle Vorstellungen von der Möglichkeit einer »umfassenden Gesellschaftsanalyse«<br />

aufgegeben werden, weil ansonsten das Perspektivische und das Kontingente<br />

der konkreten Praxis der Diskursrekonstruktion und da<strong>mit</strong> die Haltung der<br />

Skepsis gegenüber den (epistemischen) Evidenzen über die Hintertür wieder<br />

durch neue, verschobene Evidenzen ersetzt werden. Das Diskursive ist daher<br />

nicht als Realität eigener Art zu denken, das unabhängig von anderen Ebenen sozialer<br />

Wirklichkeit prozessiert. Diskursen ist auch kein systemischer Charakter<br />

zuzuschreiben, der deshalb einer festgefügten Diskurstheorie folgend analysiert<br />

werden müsste. Die Rekonstruktion von Diskursen zu leisten, bedeutet hingegen<br />

die Welt auf eine bestimmte Art denkend zu ordnen, die immer auch selbstreflexiv<br />

hinterfragt werden muss, weil Diskurse stets auch anders denkend geordnet werden<br />

können. 3 Dies ist insoweit wichtig, als der später zu erörternde Schritt zur<br />

Analyse von Dispositiven die diskursanalytische Forschungsperspektive nicht<br />

einfach überwindet. Im Rahmen einer poststrukturalistischen Forschungslogik<br />

sind Perspektivenverschiebungen erlaubt und konsequent.<br />

(1.3) Die Ordnung diskursiver Formationen wird konstituiert durch die Regeln<br />

des Aussagens. Foucault benutzt den Begriff der Regelmäßigkeit. Hierdurch wird<br />

festgestellt, dass die Redepraxis nicht von äußerlichen Vorschriften bestimmt werden<br />

kann. Zugleich setzt sich Foucault aber von der Annahme ab, Diskursstruktur<br />

und -dynamik würden allein im Innerdiskursiven produziert, und da<strong>mit</strong> auch von<br />

dem Forschungsprogramm, das er in Die Ordnung der Dinge verfolgt hat. Betrachtet<br />

man die Verwandlung der Forschungsinteressen Foucaults, erscheint die<br />

textualistische Diskursanalyse, wie sie in Die Ordnung der Dinge durchgeführt<br />

wurde, als kurzes Intermezzo. Die Diskursanalyse vor und nach diesem Versuch<br />

ist eine »Aufgabe, die darin besteht, nicht – nicht mehr – die Diskurse als Gesamtheit<br />

von Zeichen (von bedeutungstragenden Elementen, die auf Inhalte oder Re-<br />

3 Vgl. hierzu die nichtthematisierte Spannung zwischen der Haltung des Misstrauens und einer strukturalistischen<br />

Lesart der Diskursanalytik als Gesellschaftstheorie (Bublitz 1999: 14, 27) bzw. der von einem wissenschaftstheoretischen<br />

Strukturalismus ausgehenden Deutung der Wissensarchäologie (Diaz-Bone 1999: 120 f.).<br />

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