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Kritik mit Methode? - Rosa-Luxemburg-Stiftung

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Der Artikel führt in einem ersten Teil in die allgemeinen methodologischen<br />

Grundsätze der Objektiven Hermeneutik und den daraus resultierenden Interpretationstechniken<br />

ein. Neben deren Darstellung wird auch die Frage zu diskutieren<br />

sein, inwiefern sich sagen oder eben auch nicht sagen lässt, dass die Objektive<br />

Hermeneutik eine kritische <strong>Methode</strong> und Methodologie formuliert bzw. sich <strong>mit</strong><br />

ihr kritisch forschen lässt. In einem zweiten Teil wird anhand der Analyse eines<br />

konkreten Falles sowohl ihre Anwendung als auch ihr dabei zu Tage tretendes kritisches<br />

Potenzial gezeigt werden. Dem Selbstverständnis der Objektiven Hermeneutik<br />

nach muss sich das kritische Potenzial eines Forschungsansatzes anhand<br />

von konkreten Materialanalysen stets neu erweisen. Bei der konkreten Materialanalyse<br />

handelt es sich um einen Zeitungsartikel des Gesamtmetallvorsitzenden<br />

Martin Kannegiesser. Dieser nimmt in seinem im Juli 2004 in der ZEIT erschienenen<br />

Artikel auf die Tarifrunde 2003/2004 in der Metall- und Elektroindustrie implizit<br />

Bezug und griff auf diese Weise in die öffentliche Auseinandersetzung zwischen<br />

Gewerkschaften und Arbeitgeberinnenverbänden 1 ein, welche im Sommer<br />

2004 stattgefunden hat. Kannegiessers Artikel erscheint bei einem ersten und da<strong>mit</strong><br />

notwendigerweise oberflächlich bleibenden Lesen – welches aber m. E. die<br />

vorherrschende Form der Lektüre von Zeitungsartikeln darstellt – als kompromissbereit<br />

und in wichtigen Teilen arbeitnehmerinnenfreundlich. Bei genauerer Analyse<br />

– und das heißt hier unter Rückgriff auf die Objektive Hermeneutik – zeigt<br />

sich aber, dass alle vom Text gemachten ›Zugeständnisse‹ und Konzessionen an<br />

die Arbeitnehmerinnenschaft auf der Basis einer neoliberalen Standortlogik<br />

fußen. Wird diese jedoch als allgemeiner Orientierungs- und Bezugsrahmen akzeptiert,<br />

werden alle ›Zugeständnisse‹ und positiven Angebote zur bloßen Farce<br />

bzw. zeigen sich als ein klug eingesetztes rhetorisches Mittel, um Protest und Widerstand<br />

seitens der Arbeitnehmerinnenschaft zu absorbieren.<br />

Doch was wird nun genau <strong>mit</strong> dem schon erwähnten Begriff der »latenten<br />

Sinnstruktur« bezeichnet? Und warum ist gerade von einer Objektiven Hermeneutik<br />

die Rede?<br />

1.1. Latenz und Objektivität von Sinnstrukturen<br />

Um sich der Beantwortung dieser Fragen zu nähern, ist es sinnvoll, kurz den Entstehungshintergrund<br />

der Objektiven Hermeneutik zu betrachten. Die auf Ulrich<br />

Oevermanns Dissertation von 1967 basierende Studie »Sprache und soziale Herkunft«<br />

(1972; erstmals 1970) setzt sich <strong>mit</strong> der vom britischen Soziolinguisten<br />

Bernstein stammenden Unterscheidung zwischen »restringiertem« und »elaboriertem<br />

Sprachcode« kritisch auseinander. In der Form einer quantitativ und hypo-<br />

1 Personenkategorien werden hier, auch wenn sie sich auf Frauen und Männer beziehen, durchgehend in der grammatikalisch<br />

weiblichen Form benutzt. Die Leserin (!) muss dann jeweils offen lassen, ob es sich tatsächlich um<br />

Männer und Frauen oder lediglich um Frauen handelt. Allerdings kann in vielen Fällen auch unterstellt werden,<br />

dass Personen beiderlei Geschlechts gemeint sind.<br />

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