09.11.2012 Aufrufe

Kritik mit Methode? - Rosa-Luxemburg-Stiftung

Kritik mit Methode? - Rosa-Luxemburg-Stiftung

Kritik mit Methode? - Rosa-Luxemburg-Stiftung

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

5.3.4. Gruppenanalytische Interpretation<br />

Zunächst lässt sich der allgemeine Eindruck konstatieren, dass den Mädchen mein<br />

Vorhaben eines »offenen Gesprächs« fremd vorkam und sie nicht genau wussten,<br />

wie sie darauf reagieren sollten. Die Grundannahme der Mädchen schien zu sein,<br />

dass nur Tania, die allgemein als Repräsentantin akzeptiert wurde, in der Lage<br />

sein würde, sich als Individuum <strong>mit</strong> meinem Vorhaben auseinanderzusetzen.<br />

In Bezug auf die Herkunftsmatrix bzw. biographische Matrix der Teilnehmenden<br />

lässt sich also konstatieren, dass der Umgang <strong>mit</strong> dem Forscher zwischen<br />

einem »traditionellen« Entwurf der Verweigerung bzw. der Antwort als<br />

Gruppe und einem »modernen«, im Sinne einer individuellen und selbstbewussten<br />

Auseinandersetzung <strong>mit</strong> dem Fremden oszillierte. Die institutionelle<br />

Matrix der Gruppe erinnert an eine etwas ungewohnte Prüfungs- oder Unterrichtssituation.<br />

Im Klassenverband kann man sich zurückziehen, gleichzeitig insistiert<br />

der Forscher, ähnlich einem Lehrer, immer wieder auf der individuellen<br />

Beteiligung der Einzelnen, nicht nur einer Schülerin. Da<strong>mit</strong> reproduziert sich in<br />

gewisser Weise schon in der Initialszene die Struktur einer Institution, deren<br />

Funktion die Regulierung der Adoleszenz ist, und die auch über die Beendigung<br />

dieser Phase bestimmt.<br />

Die dynamische Matrix bezieht sich auf die Frage, <strong>mit</strong> welchem Thema die<br />

Gruppe latent beschäftigt ist und welche Aspekte dieses Themas bewusst werden<br />

dürfen oder abgewehrt werden müssen. Mein Eindruck in diesem Zusammenhang<br />

ist, dass ich – eingeführt über die vertrauensvolle Person von Doña Marta – bei<br />

der spielerischen Inszenierung der Affären der Mädchen zunächst ein willkommenes<br />

Publikum war; was zu diesem Zeitpunkt der Forschungsbeziehung meines Erachtens<br />

abgewehrt werden muss, ist die Einsicht, dass dieses Arrangement nicht<br />

mehr lange so bestehen kann – meine Forderung nach einem Gespräch wurde intuitiv<br />

als eine »ernste Sache« verstanden, der es eher auszuweichen galt. Als<br />

Mann aus einem Industrieland repräsentierte ich vermutlich – ähnlich wie der<br />

vorherige Zivildienstleistende, <strong>mit</strong> dem ich vielleicht identifiziert wurde – einerseits<br />

die Offenheit der Welt und die Möglichkeiten, die ihnen als Adoleszente offenstehen,<br />

eine für mich als Forscher sehr angenehme Rolle. Meine Angst vor<br />

dem Gespräch und meine Unsicherheit, ob ich <strong>mit</strong> der Forderung danach nicht die<br />

»gute Beziehung« zu den Mädchen zerstören würde, lässt sich jedoch vielleicht<br />

auch als Vorahnung interpretieren, dass ein offenes Gespräch, in dem ich auch<br />

ernsthafte Fragen zu ihren Ängsten und realen Lebenschancen stellte, dem angenehmen<br />

Spiel gewissermaßen ein Ende setzen würden. Abgewehrt werden muss<br />

dabei tendenziell auch die Kränkung, dass man dem von Tania repräsentierten<br />

kollektiven Ich-Ideal und den professionellen Anforderungen als Einzelne (noch)<br />

nicht entspricht. Ihre Verweigerung drückt letztlich aus, dass die Mädchen es<br />

zunächst beim Spiel belassen wollen, das sie so genießen und für das ihnen das<br />

Internat einen ungewohnten Freiraum zu geben scheint – das Grundthema der Initialszene<br />

wäre demnach also der Kampf um Adoleszenz als einem Möglichkeits-<br />

166

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!