Kritik mit Methode? - Rosa-Luxemburg-Stiftung
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werden. Da<strong>mit</strong> ist gemeint, dass wissenschaftliche Theorien so gebildet werden<br />
müssen, dass der Standpunkt des Subjekts in ihm aufgehoben ist. Die Perspektive<br />
der Forschenden fällt <strong>mit</strong> derjenigen der »Beforschten« zusammen. Gegenstand<br />
der Theoriebildung ist nicht das Subjekt, sondern »die Welt, wie jeweils ich sie<br />
erfahre, als Fluchtpunkt meiner möglichen Verständigung <strong>mit</strong> anderen darüber,<br />
was dieser oder jener Weltaspekt für uns bedeutet und welche Handlungsmöglich-<br />
15, 16<br />
keiten ... sich daraus ergeben.« (Holzkamp 1991: 12 f.).<br />
Allerdings ist <strong>mit</strong> all dem keinesfalls gemeint, dass Prämissen-Gründe-Zusammenhänge<br />
den Betroffenen schlicht bekannt oder bewusst sind, (sonst wäre ein<br />
Forschungsprozess auch überflüssig). Auch nicht gemeint ist, dass das, was die<br />
Mitforschenden über ihre Gründe sagen, unhinterfragt als »wahr« oder unproblematisch<br />
hingenommen wird, denn »[d]as Individuum kann in seinen subjektiven<br />
Möglichkeiten ... hinter den in den Bedeutungen gegebenen Möglichkeiten/Möglichkeitserweiterungen<br />
der Handlungsfähigkeit zurückbleiben, es kann sich aber<br />
auch über das Ausmaß und die Art der real gegebenen Möglichkeiten täuschen<br />
etc.« (Holzkamp 1983: 368) Da<strong>mit</strong> möchte ich zur oben angerissenen Frage<br />
zurückkommen, in welchem Sinne in kritisch-psychologischer Forschung davon<br />
ausgegangen wird, dass die Betroffenen an der Aufrechterhaltung jener Konstellationen<br />
beteiligt sind, aus denen ihr Leid/ihre Probleme resultieren.<br />
2.1. Macht – Ideologisches – Unbewusstes<br />
Das existentielle Dilemma oder besser: die psychische Grundproblematik wird in<br />
der Kritischen Psychologie <strong>mit</strong> dem Begriff der restriktiven Handlungsfähigkeit<br />
gefasst. 17 Er ist eine psychologische Spezifizierung der ideologietheoretischen<br />
Problemstellung, dass Herrschaft nicht nur durch Gewalt und direkten Zwang,<br />
sondern wesentlich über die »Zustimmung« auch der Subalternen reproduziert<br />
15 Dieser der Spezifik des Psychischen angemessene Modus wissenschaftlicher Forschung und Theorienbildung<br />
wird in experimentellen Settings systematisch suspendiert, indem Handeln (Denken, Fühlen etc.) »in den Bedingtheitsdiskurs<br />
gestellt, d. h. als Resultat kausaler Einwirkungen der Außenwelt betrachtet« (Holzkamp 1991:<br />
12) wird. Aber auch »qualitative« Forschung kann am Gegenstand vorbei forschen, etwa indem sie subjektive<br />
Sinneinheiten in Typologien auflöst, oder »Einstellungen«, »Persönlichkeitsmerkmale« o.ä. identifiziert (vgl.<br />
Abschnitt zur Verallgemeinerbarkeit).<br />
16 Nicht gemeint ist eine konkrete Identität von Perspektiven/Sichtweisen, z. B. zwischen mir und Rechtsextremen.<br />
Wohl gemeint ist aber, dass ich deren Denken und Handeln nicht irrationalisiere, sondern beides gedanklich unter<br />
Bezug auf entsprechende soziologisch-psychologische Theorien als in historisch-konkreten Bedeutungskonstellationen<br />
subjektiv begründete Lebensweise »verstehe« (vgl. FN 11). Mit Bezug zu Fragestellungen, die die<br />
Ontogenese betreffen, ist entscheidend, dass diese als Entwicklung zur Handlungsfähigkeit verstanden (vgl.<br />
Holzkamp 1983: 417 ff.) und nicht isoliert, sondern eingebettet in die Kind-Erwachsenen-Koordination gedacht<br />
wird (vgl. Ulmann 1999). Beschränkte Auskunftsfähigkeit (von Kindern, Behinderten oder Traumatisierten) suspendiert<br />
aber nicht die Vorstellung, dass auch deren Handeln, Fühlen etc. sich im Modus subjektiver Begründetheit<br />
vollzieht.<br />
17 Im Folgenden wird auch skizziert, wie <strong>mit</strong> der Situierung individueller Lebenstätigkeit im Ensemble der gesellschaftlichen<br />
Verhältnisse eine Reinterpretation Freudscher Konzepte wie dem des Un-/Vorbewussten einhergeht.<br />
Vgl. Osterkamp (1990: 184 ff.), Holzkamp (1983: 376 ff.), Aumann (2003).<br />
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