09.11.2012 Aufrufe

Kritik mit Methode? - Rosa-Luxemburg-Stiftung

Kritik mit Methode? - Rosa-Luxemburg-Stiftung

Kritik mit Methode? - Rosa-Luxemburg-Stiftung

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Mit den höheren Ansprüchen gehen in der kapitalistisch-bürgerlichen Gesellschaft<br />

immer stärkere Widersprüche zwischen eigenen Interessen und gesellschaftlichen<br />

Forderungen einher. Ab einem bestimmten Punkt sind die Möglichkeiten<br />

zur Verfügungserweiterung nicht mehr gegeben, man stößt auf Grenzen<br />

und Zwang. Diese werden auch schon früher, in der Kindheit ver<strong>mit</strong>telt, teils<br />

durch aktive Unterdrückung von Denken und Handeln. Da<strong>mit</strong> wird (wenn auch<br />

nicht unbedingt intendiert) auf die spätere Abhängigkeit in der kapitalistischen<br />

Gesellschaft vorbereitet und jene naturalisiert (ebd.: 326 ff.).<br />

Psychoanalytisch geprägte Kategorien wie die des Unbewussten oder der Verdrängung<br />

sind wichtige theoretische Errungenschaften, ohne die eine Ideologieund<br />

Gesellschaftskritik kaum auskommt. Mit den kritisch-psychologischen Prämissen<br />

können diese nun, bezogen auf die konkrete kapitalistische Gesellschaftsform<br />

16 reinterpretiert werden, da »psychische Konflikte immer aufgrund von<br />

motional gegründeten Handlungsbereitschaften einerseits und dem <strong>mit</strong> der Realisierung<br />

dieser Bereitschaften drohenden Verlust der eigenen Handlungsfähigkeit<br />

auf erreichtem Niveau andererseits entstehen« (ebd.: 343). Personale Handlungsfähigkeit,<br />

als Konzept für den Zusammenhang zwischen individueller und gesellschaftlicher<br />

Lebenstätigkeit, bezeichnet die »gesamtgesellschaftlich ver<strong>mit</strong>telte<br />

Verfügung über die eigenen Lebensbedingungen« (Holzkamp 1985: 239) und<br />

muss in ihrem Verhältnis zu Handlungsbehinderungen betrachtet werden. Lebensqualität<br />

ist in dem Moment beeinträchtigt, in welchem man den Verhältnissen<br />

oder Situationen ohnmächtig ausgeliefert ist. Sicher gibt es im gesellschaftlichen<br />

Zusammenleben immer nicht-intendierte Effekte eigenen Handelns und eine gewisse<br />

Unkontrollierbarkeit sozialer Prozesse. Entscheidend ist aber das Ausmaß<br />

der eigenen Handlungsmöglichkeiten und die Diskrepanz zwischen der theoretisch<br />

möglichen und der reell gegebenen Teilhabe an gesellschaftlichen Prozessen.<br />

So kann subjektive Befindlichkeit auch als Ausdruck konkreter Lebensbedingungen<br />

und des Grads der eigenen Einflussnahme auf diese gefasst werden<br />

(Holzkamp 1987: 15). Ob das menschliche Bedürfnis nach der Überwindung der<br />

Ausgeliefertheit an die Verhältnisse auch subjektiv zur Geltung kommt, ist da<strong>mit</strong><br />

allerdings noch nicht gesagt (Holzkamp 1984b: 30): Wie für die Psychoanalyse<br />

ist für die Kritische Psychologie das subjektiv wahrgenommene menschliche Leiden<br />

Ausgangspunkt ihrer Forschungen.<br />

Mit dem Bestreben, die eigene Verfügungsgewalt über die Lebensverhältnisse<br />

auszudehnen, entwickelt sich in der kapitalistischen Gesellschaft der Widerspruch<br />

zu herrschenden Normen und Strukturen. Sind diese Normen weder für Eltern<br />

noch für Kinder durchschaubar oder widersprechen sie den eigenen Interessen der<br />

Verfügungserweiterung, müssen sie <strong>mit</strong> Zwang durchgesetzt werden. Dies führt<br />

16 Kapitalistische Gesellschaftsformen sind in sich natürlich weiter differenziert und nehmen verschiedene Ausformungen<br />

in Raum und Zeit an. Für die Darstellung hier ist allerdings das relativ abstrakte Konzept »der« kapitalistischen<br />

Gesellschaft, das sich auf grundlegende gemeinsame Merkmale bezieht, ausreichend.<br />

184

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!