Diskurslage erweiterte Dialogprozesses Veränderungen
BMAS_Werkheft-2
BMAS_Werkheft-2
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Perspektiven<br />
Vielleicht werden die <strong>Veränderungen</strong> bei Ihnen<br />
in Deutschland weniger stark ausgeprägt sein als<br />
in den angelsächsischen Ländern, weil bei Ihnen<br />
viele junge Menschen ja nach wie vor zu Facharbeitern<br />
ausgebildet werden. In Großbritannien<br />
und in den USA haben junge Menschen nicht die<br />
Möglichkeit, eine Berufsausbildung zu absolvieren,<br />
und sie haben daran auch gar kein Interesse. In der<br />
Regel streben junge Menschen einen Hochschulabschluss<br />
an, um dann als mittlere Angestellte<br />
zu arbeiten und nicht dort, wo körperliche Arbeit<br />
gefragt ist. Aber genau diese Arbeitsplätze verschwinden.<br />
Neoliberale Volkswirtschaften trifft<br />
diese Entwicklung meiner Meinung nach besonders<br />
hart, aber der technologische Fortschritt<br />
und die Verlagerung von Tätigkeiten ins Ausland<br />
machen auch vor Ihrem Land nicht halt.<br />
Prof. Richard Sennett (geb. 1943)<br />
ist einer der einflussreichsten<br />
Theoretiker der modernen<br />
Arbeits- und Lebenswelt. Er<br />
beschäftigt sich seit mehr als 30<br />
Jahren mit den Auswirkungen<br />
wirtschaftlicher und technologischer<br />
Entwicklungen auf<br />
die Gefühlswelt des Einzelnen<br />
und den Zusammenhalt in der<br />
Gesellschaft. Mit Veröffentlichungen<br />
wie »Der flexible<br />
Mensch« (1998), »Die Kultur des<br />
neuen Kapitalismus« (2005)<br />
oder zuletzt »Handwerk« (2008)<br />
und »Zusammenarbeit« (2012)<br />
prägte er öffentliche Debatten.<br />
Richard Sennett lehrt Soziologie<br />
und Geschichte sowie Sozial- und<br />
Kulturtheorie an der New York<br />
University und an der London<br />
School of Economics.<br />
Sie sagten vorhin, dass sich diese <strong>Veränderungen</strong><br />
vor allen Dingen in Westeuropa abspielen<br />
werden. Was ist mit anderen Regionen?<br />
Ich habe von Westeuropa gesprochen, weil die<br />
Krise der Arbeit dort ganz anders geartet ist als in<br />
Südeuropa. In Südeuropa haben wir es mit dem<br />
klassischen Fall zu tun, dass körperliche Arbeit<br />
einen Wandel erlebt. Diese Länder sind keine<br />
Industriestandorte, daher haben wir es dort mit<br />
körperlichen Tätigkeiten zu tun, die auch von Einwanderern<br />
erledigt werden können, die daher als<br />
Bedrohung wahrgenommen werden.<br />
Welche negativen Konsequenzen und Reaktionen<br />
könnte der Verlust von Arbeitsplätzen<br />
im mittleren Bereich aktuell oder in Zukunft<br />
auslösen?<br />
Ich halte das für ein riesiges politisches Problem,<br />
denn dieser Druck auf die Mitte der Gesellschaft<br />
führt oft dazu, dass Menschen sich rechtsextremen<br />
oder populistischen Strömungen zuwenden.<br />
Genau das sind dann die Menschen, die fälschlicherweise<br />
der Meinung sind, Einwanderer hätten<br />
ihnen ihre Jobs weggenommen. Die Wahrheit ist<br />
jedoch, dass ihre Arbeitsplätze ins Ausland verlagert<br />
oder von Maschinen ersetzt wurden. Für<br />
mich ist das die große aktuelle Herausforderung<br />
in Westeuropa. Früher hat man bei hoher Arbeitslosigkeit<br />
zumindest hier in Großbritannien, wo<br />
ich lebe, den staatlichen Sektor ausgeweitet. Die<br />
Zeiten haben sich aber geändert. Diese klassische<br />
Krisenbewältigungsstrategie eines Zurückdrängens<br />
der Arbeitslosigkeit durch eine Ausweitung<br />
des öffentlichen Sektors werden wir dieses Mal<br />
nicht erleben.<br />
Wie wirkt sich die Entgrenzung der Arbeit<br />
und des Privatlebens auf die Beschäftigten in<br />
ARBEITEN 4.0 WERKHEFT 02 SEITE 151