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Diskurslage erweiterte Dialogprozesses Veränderungen

BMAS_Werkheft-2

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Perspektiven<br />

gestalten? Für mich wäre ein erster Ansatzpunkt,<br />

dass die Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft für<br />

Uber-Fahrer Pflicht wird. Arbeitgeber sollten nicht<br />

einzeln mit den Fahrern verhandeln, sondern so<br />

wie mit anderen Gewerkschaften auch.<br />

Wir haben gedankenlos beschlossen, dass, nur weil<br />

das Internet für alle zugänglich ist, es auch nicht<br />

reguliert werden soll, dass der Staat sich bei der<br />

Bekämpfung der so entstehenden Ungerechtigkeiten<br />

zurückziehen soll. Das ist eine Fehlentwicklung,<br />

der wir nicht tatenlos zusehen sollten. Der<br />

Staat muss eingreifen, wenn es auf Plattformen<br />

unfair zugeht. Die Firma Amazon nutzt beispielsweise<br />

das Plattform-Modell, um Arbeitsstandards<br />

zu umgehen und zu zerstören, um Steuern zu<br />

vermeiden und um andere Firmen in den Ruin<br />

zu treiben. Man sollte es Amazon nicht erlauben,<br />

einfach alles zu verkaufen. Übrigens gelten solche<br />

Aussagen in Großbritannien als ketzerisch (lacht).<br />

Sozusagen als extremer Auswuchs des Sozialismus.<br />

Nun gut. Wie gesagt: Man kann sich nicht für eine<br />

aktive Rolle des Staates in der Offline-Wirtschaft<br />

aussprechen und ihm dann online jeglichen Einfluss<br />

verwehren.<br />

Wie kann der Wert der Arbeit in einer flexiblen,<br />

dynamischen Arbeitsgesellschaft wiederhergestellt<br />

werden?<br />

Dies betrifft die Frage, wie man Arbeit organisiert,<br />

und nicht die Arbeit an sich. Wenn Sie in<br />

einer Firma mit einer kurzfristigen Perspektive<br />

arbeiten und Aufgaben erledigen sollen, die nicht<br />

von heute auf morgen zu schaffen sind, wird Ihnen<br />

keine Wertschätzung entgegengebracht. Flexibilität<br />

bedeutet Kurzfristigkeit und es entsteht keine<br />

emotionale Verbindung zwischen den Beschäftigten<br />

und dem Arbeitsplatz, da jeder nur auf Zeit<br />

angestellt ist. Wenn die Rahmenbedingungen<br />

für die Mitarbeiter aber stimmen und die Arbeit<br />

so organisiert wird, dass sich bei ihnen Loyalität<br />

gegenüber ihrer Firma oder einer bestimmten Aufgabe<br />

einstellt und sie ihre Erfahrung einbringen<br />

können, entsteht Raum für kooperative Arbeitsprozesse<br />

und das Gefühl, etwas wirklich gut zu<br />

machen.<br />

Als der Neoliberalismus vor 20 Jahren an Dynamik<br />

gewann, ging man davon aus, dass eine flexible<br />

Arbeitswelt den Wert der Arbeit in den Augen der<br />

Menschen erhöhen würde und sie mehr Gestaltungsmöglichkeiten<br />

haben würden. Mehr Flexibilität<br />

ist gleich mehr Freiheit, so dachte man<br />

damals. Fakt ist, dass auf diese Weise mehr geringfügige<br />

Beschäftigung entstanden ist. Diese Art der<br />

kurzfristigen Flexibilität höhlt Arbeitsplätze aus.<br />

Deshalb müssen wir meiner Meinung nach vollkommen<br />

neue Wege hinsichtlich der Arbeit und<br />

ihrer Gestaltung und Organisation einschlagen.<br />

Die Anwendung und der Erwerb von Kompetenzen<br />

müssen in das Zentrum gestellt werden.<br />

Könnten Sie dies weiter ausführen? Unter welchen<br />

Voraussetzungen können wir gute Arbeit<br />

erreichen?<br />

Echte Zusammenarbeit und erfüllende Arbeit<br />

sind nicht nur moralische Gesten, die wir uns in<br />

der Realität nicht leisten können. Wir müssen<br />

den sozialen Aspekt der Arbeit neu denken. Das<br />

bedeutet, dass wir gesellschaftliche Normen brauchen,<br />

die nicht auf eine Maximierung hinauslaufen.<br />

Insbesondere wenn es um Zeit geht. Zeit ist<br />

eine Frage der Lebensqualität. Ich würde mir sehr<br />

wünschen, dass mehr darüber diskutiert wird, wie<br />

man diese Ideen umsetzen kann. Übrigens ist dies<br />

auch im Interesse der Arbeitgeber, denn die Qualität<br />

der Arbeit von überarbeiteten Mitarbeitern ist<br />

nicht besonders gut. Das lässt sich auch statistisch<br />

belegen.<br />

Die Rahmenbedingungen müssen so sein, dass<br />

Menschen Kompetenzen entwickeln und ausbauen<br />

können. Ich glaube nicht, dass man ein permanentes<br />

Glück am Arbeitsplatz empfinden kann.<br />

Aber ich bin der Überzeugung, dass es zutiefst<br />

erfüllend ist, etwas wirklich gut zu machen. Dafür<br />

braucht man jedoch Zeit. Wir sollten anerkennen,<br />

dass die Art und Weise, wie Menschen ihren<br />

Lebensunterhalt verdienen, sehr großen Einfluss<br />

auf ihr Selbstwertgefühl und ihren Lebenssinn hat.<br />

Das lässt sich nicht durch etwas Unproduktives<br />

ersetzen. Arbeit spielt die entscheidende Rolle.<br />

Das Gespräch führte Sven Rahner<br />

2. Juni 2016<br />

ARBEITEN 4.0 WERKHEFT 02 SEITE 153

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