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Diskurslage erweiterte Dialogprozesses Veränderungen

BMAS_Werkheft-2

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Analysen<br />

Im Grunde sind diese Befürchtungen nicht neu,<br />

gab es sie doch schon bei früheren Technologieschüben.<br />

So hat der Soziologe Ulrich Beck<br />

schon in den 1980er-Jahren in seinem Buch Risikogesellschaft<br />

ein ähnliches Szenario beschrieben<br />

und erwartet, die sozialversicherungspflichtige<br />

Beschäftigung werde unaufhaltsam sinken und<br />

riskante, nämlich – wie es heute üblich ist zu<br />

sagen – »prekäre« Beschäftigung an Bedeutung<br />

zunehmen. Im Folgenden gehen wir der Frage<br />

nach, ob der technologiebedingte Strukturwandel<br />

und die arbeitsmarktpolitischen Entscheidungen<br />

der Vergangenheit in Deutschland tatsächlich<br />

zu einer Erosion »normaler« Arbeitsverhältnisse<br />

geführt und uns Arbeits- und Lebensbedingungen<br />

einer Risikogesellschaft beschert haben.<br />

Vorweg noch ein Wort zur Diskussion über<br />

das Schrumpfen oder gar Verschwinden der<br />

»Mittelschicht«. Problematisch daran ist die<br />

unzureichende Definition des Begriffs der Mittelschicht.<br />

Im ökonomischen Kontext wird oft<br />

das durchschnittliche Einkommen von Personen<br />

oder Haushalten betrachtet. Zur »Mittelschicht«<br />

gehören dann alle Haushalte, die ein »mittleres«<br />

Einkommen, gemessen am gesamtgesellschaftlichen<br />

Median, beziehen. Ein so abgegrenzter<br />

Mittelschichtbegriff beschreibt aber nicht notwendigerweise<br />

die tatsächlichen Handlungsmöglichkeiten,<br />

die formale Bildung und Qualifikation,<br />

die berufliche Position, soziale Lage, die familiäre<br />

Herkunft oder die Werte der Angehörigen dieser<br />

Mitte (näher zum Begriff der Mittelschicht Grabka<br />

u. a. 2016: 292 f.; Wagner 2012).<br />

In diesem Werkheft wird dagegen in erster<br />

Linie auf den Arbeitsmarkt Bezug genommen, und<br />

in unserem Beitrag stellen wir auf die Arbeitnehmermitte<br />

im Sinne regulär beschäftigter Arbeitnehmerinnen<br />

und Arbeitnehmer und Beamtinnen<br />

und Beamter (einschließlich Auszubildender) ab.<br />

Sowohl Teilzeitbeschäftigte mit mindestens 18<br />

Stunden regelmäßiger Wochenarbeitszeit als auch<br />

Vollzeitbeschäftigte gehören dazu. Solo-Selbstständige<br />

werden als eigene Gruppe ausgewiesen.<br />

Nicht zur solchermaßen definierten Mitte gehören<br />

also Selbstständige mit Beschäftigten, geringfügig<br />

Beschäftigte und Nichterwerbstätige (größtenteils<br />

Rentnerinnen und Rentner, Arbeitslose und Schülerinnen<br />

und Schüler/Studierende).<br />

SCHEINBARE ENTWICKLUNG<br />

Ein detaillierter Blick auf die Entwicklung<br />

der Beschäftigungsverhältnisse zeigt: Prekäre<br />

Beschäftigungsverhältnisse haben zwar seit Mitte<br />

der 1980er-Jahre und insbesondere seit der Jahrtausendwende<br />

einige Jahre lang zugenommen,<br />

aber trotzdem ist die sozialversicherungspflichtige<br />

Beschäftigung nicht geschrumpft. In den letzten<br />

Jahren hat sie sogar noch deutlich zugenommen.<br />

Stimmen etwa die Statistiken nicht? Doch, sie<br />

stimmen. Denn die Entwicklung ist ganz einfach<br />

zu erklären: Im Vergleich zu den 1980er-Jahren<br />

(in Westdeutschland) ist heute ein größerer<br />

Anteil der Personen im erwerbsfähigen Alter zwischen<br />

18 und 67 Jahren tatsächlich erwerbstätig<br />

(→ Abbildung 1, S. 42). Und etliche derer, die das<br />

früher nicht gewesen wären, darunter insbesondere<br />

Ehefrauen, sind heute zwar, wie man sagt,<br />

prekär beschäftigt. Doch ging die Ausweitung<br />

der Jobs in diesem Bereich gesamtwirtschaftlich<br />

nicht zulasten der sozialversicherungspflichtigen<br />

Beschäftigung. Betrachtet man nur die tatsächlich<br />

Beschäftigten (→ Abbildung 2, S. 43), wie dies<br />

üblich ist, so geht der Anteil der Normalbeschäftigten<br />

leicht zurück. Die Sichtweise ist allerdings<br />

zu eng, um die Gesamtentwicklung zu verstehen.<br />

WIE SIEHT ES HEUTZUTAGE AUS?<br />

Die sozialversicherungspflichtig Beschäftigten<br />

in Voll- und Teilzeit sowie die Beamtinnen<br />

und Beamten – d. h. die hier diskutierte Arbeitnehmermitte<br />

– machen weiterhin ungefähr die Hälfte<br />

aller erwerbsfähigen Personen aus. Gemessen an<br />

den tatsächlich erwerbstätigen Personen liegt ihr<br />

Anteil sogar merklich höher. Es wird also deutlich,<br />

dass der Zuwachs der Personen in »atypischer«<br />

Beschäftigung vor allem durch Erwerbstätige<br />

zu erklären ist, die in der Vergangenheit keiner<br />

bezahlten Tätigkeit nachgingen.<br />

WAS IST MIT DEN SOLO-SELBSTSTÄNDIGEN,<br />

DEN LEIHARBEITERINNEN UND<br />

LEIHARBEITERN UND DEN BEFRISTET<br />

BESCHÄFTIGTEN?<br />

Nach der Jahrtausendwende war ein Anstieg<br />

insbesondere bei Solo-Selbstständigkeit und<br />

geringfügiger beziehungsweise unregelmäßiger<br />

ARBEITEN 4.0 WERKHEFT 02 SEITE 43

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