Diskurslage erweiterte Dialogprozesses Veränderungen
BMAS_Werkheft-2
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Analysen<br />
muss die staatliche Politik flexible Erwerbsverläufe<br />
ermöglichen.<br />
Notwendig ist daher ein neues, flexibles<br />
Normalarbeitsverhältnis mit der traditionellen<br />
Schutzfunktion, die ein unbefristeter Arbeitsvertrag<br />
bietet, aber erweitert um Optionen für<br />
eine selbstbestimmte Arbeitszeitgestaltung im<br />
Erwerbsverlauf (Bosch 2001). Aufgabe der Politik<br />
und der Tarifpartner ist es, die Barrieren für flexible<br />
Arbeitszeiten abzubauen, zugleich aber<br />
Einkommensverluste durch die Wahrnehmung<br />
gesellschaftlich wichtiger Aufgaben, wie Kindererziehung,<br />
Pflege, Weiterbildung, auszugleichen.<br />
Teilzeitarbeit wird damit zu einem Teil normaler<br />
Erwerbsbiografien, und ihre negativen Auswirkungen<br />
auf den weiteren Erwerbsverlauf können<br />
dann, ähnlich wie heute schon in Schweden, vermieden<br />
werden (Bardasi/Gornick 2008).<br />
Dieses Ziel ist realisierbar, da es bereits an<br />
in der Bevölkerung akzeptierten Reformen der<br />
letzten Jahre, wie den Ausbau der Kinderbetreuung,<br />
anknüpft und diese weiterentwickelt.<br />
Wichtige konkrete Bausteine eines neuen Normalarbeitsverhältnisses<br />
sind:<br />
• Flexible Nutzung des Elterngeldes bis zum<br />
achten Lebensjahr eines jeden Kindes und<br />
ein zusätzlicher Bonus, wenn beide Eltern<br />
zwischen 25 und 30 Stunden arbeiten, wie im<br />
ElterngeldPlus.<br />
• Weiterer bedarfsgerechter Ausbau der Kinderkrippen,<br />
Kindergärten und Ganztagsschulen<br />
mit zuverlässigen ganztägigen Öffnungszeiten,<br />
sodass Eltern auch tatsächliche<br />
Arbeitszeitoptionen haben.<br />
• Wahlarbeitszeiten für Beschäftigte, was nicht<br />
nur das Recht auf Teilzeitarbeit, sondern auch<br />
das Rückkehrrecht zur alten Arbeitszeit einschließt.<br />
Mit der Verabredung im Koalitionsvertrag,<br />
das Rückkehrrecht zur alten Arbeitszeit<br />
bei Kindererziehung und Pflege gesetzlich<br />
zu verankern, wurde ein großer Schritt in<br />
diese Richtung gemacht.<br />
• Abbau finanzieller Barrieren bei der Variation<br />
der Arbeitszeit. Die größte Barriere ist heute<br />
der hohe Grenzsteuersatz beim Übergang von<br />
Minijobs auf reguläre Teilzeitarbeit.<br />
• Förderung neuer Arbeitszeitnormen, die die<br />
Vereinbarkeit von Beruf und Familie und die<br />
Gleichstellung fördern. Die Arbeitszeitwünsche<br />
zeigen vor allem bei Frauen in Teilzeitarbeit<br />
Wünsche nach längerer Teilzeit und<br />
bei Männern Wünsche nach weniger Überstunden.<br />
Unternehmen sollten verstärkt lange<br />
Teilzeit (zwischen 20 und 28 Stunden) und<br />
kurze Vollzeit (zwischen 28 und 35 Stunden)<br />
anbieten.<br />
• Ausbau der bezahlten und unbezahlten<br />
Freistellungen für Pflege.<br />
Viele Betriebe praktizieren solche Arbeitszeitmodelle<br />
bereits, sodass ein solches neues Normalarbeitsverhältnis<br />
mit starken Arbeitnehmerrechten<br />
für sie den Schrecken verloren hat. Die<br />
Vorteile für die Betriebe liegen in der wachsenden<br />
Bindung der Beschäftigten an den Betrieb, die mit<br />
wachsendem Fachkräftebedarf immer wichtiger<br />
wird. Flexible Arbeitszeiten werden zudem immer<br />
mehr zum wesentlichen Instrument des Personalmarketings<br />
in der Konkurrenz um den knapper<br />
werdenden Nachwuchs. Schließlich bieten sich<br />
auch neue Chancen der Krisenbewältigung, denn<br />
wie die Wirtschaftskrise 2009 gezeigt hat, sind<br />
Beschäftigte als Gegenleistung für einen sicheren<br />
Arbeitsplatz auch bereit, Arbeitszeitguthaben<br />
abzubauen oder die Regelarbeitszeit vorübergehend<br />
zu senken, was im Übrigen die meisten Tarifverträge<br />
bereits vorsehen.<br />
Die hohe Attraktivität dieses Modells für<br />
die Beschäftigten liegt in der Kombination von<br />
Arbeitsplatzsicherheit, Wahlfreiheit und teilweiser<br />
finanzieller Absicherung. Lebensentwürfe werden<br />
nicht vorgeschrieben, sondern können selbst<br />
gestaltet werden. Da die Arbeitszeitwünsche von<br />
individuellen Präferenzen und Lebensumständen<br />
(Kinder, Pflege, Haushaltseinkommen) abhängen,<br />
werden die Optionen des neuen Normalarbeitsverhältnisses<br />
in ganz unterschiedlicher Weise<br />
wahrgenommen werden. Sie werden sich auch mit<br />
dem Ausbau der Infrastruktur, vor allem der für<br />
Kinderbetreuung und Pflege, verändern.<br />
Beschäftigte müssen sich die neuen Arbeitszeitoptionen<br />
aber auch finanziell leisten können.<br />
Diese dürfen nicht das Privileg der Besserverdienenden<br />
bleiben. Der Mindestlohn kann nur als<br />
Etappensieg auf dem Weg zu einer weniger unglei-<br />
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