Diskurslage erweiterte Dialogprozesses Veränderungen
BMAS_Werkheft-2
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Andrea Augsten<br />
"<br />
Grafiken helfen zu verstehen.<br />
Fehler werden sichtbar."<br />
DESIGN UND DAS NEUE<br />
Migration, Digitalisierung und Nachhaltigkeit<br />
werfen aktuell Fragen auf, die zu beantworten sind.<br />
Oftmals ist nicht deutlich, welches Ressort, welche<br />
Abteilung oder welcher Fachbereich zuständig ist.<br />
Die Fragen gewinnen heute nicht nur an Komplexität,<br />
sie müssen auch schneller gelöst werden.<br />
Daher arbeiten Menschen aus unterschiedlichen<br />
Disziplinen zusammen, um adäquate Lösungen zu<br />
entwickeln.<br />
Dabei bildet oft Ungleichheit – etwa diverse<br />
Arbeitsweisen und Fachbegriffe – eine Hauptschwierigkeit.<br />
Es beginnt im »beruflichen Werdegang«,<br />
wo bisher der institutionelle Wissenserwerb<br />
ganz oben stand: Noten, Ausbildungsort, Disziplin,<br />
Stipendien, Auszeichnungen, was alles zusammen<br />
wie ein schnelles Log-in wirken kann, freilich in<br />
das, was der Psychologe Peter Kruse ein »geschlossenes<br />
System« (und schlicht dumm) nennt. Zusammenarbeit<br />
über unterschiedliche Erfahrungshorizonte<br />
hinweg wird häufig als umso langwieriger<br />
und komplizierter empfunden. Viele versuchen,<br />
Lösungen zu finden, die auf vertrauten Mustern<br />
basieren: Wahrgenommene Unterschiede werden<br />
eher verkleinert als ernst genommen. Die resultierenden<br />
Lösungen nutzen nicht das Potenzial wirklicher<br />
interdisziplinärer Kooperation. Der Soziologe<br />
Richard Sennett spezifiziert diese als dialektische<br />
Zusammenarbeit, denn es gehe nicht darum, unterschiedliche<br />
Standpunkte oder Wissenshorizonte zu<br />
verwischen, sondern diese füreinander fruchtbar<br />
zu machen. Zur Lösung von Problemen in Politik<br />
und Verwaltung, wie beispielsweise der Gestaltung<br />
zukünftiger Services im Bürgeramt, reichen die<br />
Kapazitäten geschlossener Systeme nicht mehr aus.<br />
Als Designforscherin muss ich mich daher<br />
fragen: Wie können Arbeitsweisen des Designs<br />
Menschen in einem solchen dialektisch-dialogischen<br />
Miteinander unterstützen? Und wie letztlich<br />
darin, selbst unkonventionelle, aber zielführende<br />
Lösungen zu entwickeln? Verschiedene experimentelle<br />
Arbeitsweisen des Designs setzen derzeit<br />
neue Impulse. Sie helfen Menschen bei interaktiven<br />
Entwicklungs- und Gestaltungsprozessen. Beim<br />
Abbau von Bürokratie können Aufzeichnungen<br />
von Prozessen verdeutlichen, wo Problemfelder<br />
liegen. Es wird sichtbar, wer beteiligt ist, wo beispielsweise<br />
unnötige Wartezeiten entstehen oder<br />
regelmäßig Missverständnisse in der Kommunikation<br />
auftreten. Grafiken helfen zu verstehen. Einfache<br />
Papiermodelle eines digitalen Service können<br />
frühzeitig aufzeigen, wo bei der Benutzung einer<br />
App Probleme auftreten. Fehler werden sichtbar. Bei<br />
der Entwicklung eines urbanen Quartiers können<br />
Modelle aus Lego Politikerinnen und Politikern,<br />
Architektinnen und Architekten, Stadtplanerinnen<br />
und Stadtplanern und Bürgerinnen und Bürgern<br />
helfen, die Diskussion am Modell zu führen: offen<br />
und spielerisch statt disziplinär und kompetitiv.<br />
Denn <strong>Veränderungen</strong> und Ideen können einfach<br />
durch das Versetzen der Legosteine ausprobiert<br />
werden. Personae können die einzelnen Nutzerinnen<br />
und Nutzer in einem Quartier prototypisch<br />
mit konkreten Eigenschaften und einem konkreten<br />
Nutzungsverhalten beschreiben und den Prozess<br />
um eine Menschzentrierung ergänzen.<br />
Visuelle Arbeitsweisen des Designs unterstützen<br />
als haptischer Intermediator das interdisziplinäre<br />
Verstehen. Ergänzend zu Sprache, ihrer<br />
Dialektik und ihren rhetorischen Verhandlungsmechanismen<br />
ermöglichen Visualisierungen und<br />
taktile Elemente den Dialog und die Gestaltung von<br />
Neuem. Bezogen auf ihre Kompetenzen benötigen<br />
Menschen weiterhin eine disziplinäre Expertise.<br />
Um aber transdisziplinär zusammenzuarbeiten,<br />
brauchen wir zusätzlich Empathie und die Fähigkeit<br />
des Zuhörens. Ich schlage vor, visuelle, iterative und<br />
experimentelle Arbeitsweisen des Designs auszuprobieren,<br />
um Neuem einen Nährboden zu geben.<br />
Die Designforscherin Andrea Augsten co-gründete 2014 die<br />
Initiative design:transfer, die sich mit Fragestellungen des Designs<br />
in Transformationsprozessen in Wirtschaft, Wissenschaft und<br />
öffentlichem Sektor beschäftigt. Sie ist Mitglied im Think Tank 30<br />
des Club of Rome und promoviert in Kooperation mit dem Innovation<br />
Center der Volkswagen AG über das Potenzial von Design<br />
in der Organisationsentwicklung.<br />
ARBEITEN 4.0 WERKHEFT 02 SEITE 189