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Diskurslage erweiterte Dialogprozesses Veränderungen

BMAS_Werkheft-2

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Perspektiven<br />

OECD-Ländern wie Deutschland, Großbritannien<br />

und den USA aus?<br />

In zweierlei Hinsicht. Erstens spielt das Geschlecht<br />

eine Rolle. Als es vor 20 Jahren zum ersten Mal<br />

wirklich möglich wurde, die private Wohnung<br />

und den Arbeitsplatz miteinander durch Computer<br />

zu verbinden, ging man davon aus, dass<br />

dies für Frauen ein großes Befreiungspotenzial<br />

mit sich bringen würde. Stattdessen ist eine neue<br />

gläserne Decke entstanden. Frauen, die von zu<br />

Hause aus arbeiten, sind von informellen Kontakten<br />

abgeschnitten. Von inoffiziellen Dingen,<br />

die mit Chancen verbunden sind, erfahren sie<br />

erst gar nicht. Aufstiegsmöglichkeiten in großen<br />

Unternehmen hängen aber häufig davon ab, was<br />

man beiläufig im Gespräch erfährt. Von dem, was<br />

geschieht, wenn man gerade nicht am Computer<br />

sitzt. Frauen waren da häufig außen vor. Sie hatten<br />

keinen Zugang zu diesen informellen Kontakten<br />

mit ihren vielfältigen Chancen.<br />

Ich persönlich denke, dass Computer nur sehr<br />

begrenzt jeglichen direkten Kontakt ersetzen<br />

können. Auf der Beziehungsebene macht es einen<br />

großen Unterschied, ob wir beide uns direkt oder<br />

im Internet miteinander unterhalten. Gespräche<br />

im Netz sind viel langsamer und längst nicht so<br />

informell, wie wenn man sich spontan über den<br />

Weg läuft und zum Beispiel sagt: »Hab ich dir das<br />

eigentlich schon erzählt? Im Flur unter uns suchen<br />

sie nach einem neuen Kollegen.« Verstehen Sie, was<br />

der Unterschied ist? Da gibt es also Grenzen, die<br />

nicht ohne Weiteres überwunden werden können.<br />

Welche neuen Chancen kann die Digitalisierung<br />

eröffnen?<br />

Ich bin davon überzeugt, dass Westeuropa seine<br />

Beschäftigungskrise nur mit einer Kombination<br />

aus Jobsharing und einem Grundeinkommen in<br />

den Griff bekommen wird. Anstatt dass sich drei<br />

Leute auf einen Arbeitsplatz bewerben und dann<br />

einer den Job bekommt und die anderen beiden<br />

von Sozialleistungen leben, sollten wir darüber<br />

nachdenken, wie wir Stellen auf zwei oder drei<br />

Personen aufteilen können. Um das geringere<br />

Einkommen wettzumachen und um den Lebensunterhalt<br />

der Menschen zu sichern, müsste die<br />

Gemeinschaft zusätzlich unterstützend eingreifen.<br />

Auf der praktischen Ebene müsste man das im<br />

Internet koordinieren. Hier sehe ich zusätzliche<br />

Chancen der voranschreitenden Digitalisierung.<br />

Wo sind die Ressourcen, wo sind die Arbeitsplätze<br />

und wer kann die Aufgaben erledigen? Bei all<br />

diesen Fragen kann der Staat eine Schlüsselrolle<br />

einnehmen und auf die neuen digitalen Möglichkeiten<br />

zurückgreifen.<br />

Ausgangspunkt meiner Überlegungen ist, dass<br />

ich damit rechne, dass es in Europa einen Arbeitsmangel<br />

geben wird und dieses Problem nicht allein<br />

durch die Schaffung von neuen Arbeitsplätzen<br />

gelöst werden kann. Die vorhandenen Arbeitsplätze<br />

müssen daher als eine Art knappe Ressource<br />

gesehen werden, die es so gerecht wie möglich zu<br />

verteilen gilt. Die Menschen würden also in Teilzeit<br />

arbeiten und zusätzlich staatliche Unterstützung<br />

erhalten. Das Zusammenbringen von Bewerbern<br />

und Stellen müsste online erfolgen. Das kann nicht<br />

über informelle Kontakte laufen. Plattformen wie<br />

LinkedIn haben eine große Schwäche: Für Kontakte<br />

der oberen Mittelschicht funktionieren sie<br />

gut, aber man kann damit nur schlecht die Verteilung<br />

von Arbeit organisieren. Der Staat könnte<br />

die Aufgabe übernehmen, Angebote im Internet<br />

bereitzustellen, die die Menschen dorthin vermitteln,<br />

wo die Arbeitsplätze sind. Ziel ist es, Arbeit<br />

innerhalb einer Volkswirtschaft gleichmäßiger<br />

und effizient zu verteilen.<br />

Sie sprachen bereits die Folgen digitaler Plattformen<br />

an. Wie bewerten Sie die Auswirkungen<br />

der Plattform-Ökonomie auf die Beschäftigten,<br />

Gewerkschaften und die Arbeitsbeziehungen<br />

insgesamt?<br />

Meine Auffassung ist, dass Plattformen reguliert<br />

werden müssen. Ich persönlich würde beispielsweise<br />

die Taxi-Plattform Uber vom Markt nehmen.<br />

Ich würde sie verbieten und in den Bankrott treiben.<br />

Sie steht für mich sinnbildlich für einen falschen<br />

Weg, der Plattformen zu einer neuen neoliberalen<br />

Spielwiese werden lässt, auf der uneingeschränkt<br />

die Spielregeln des freien Marktes gelten. Das wäre<br />

ein Rückschritt. Denn wir möchten einerseits,<br />

dass der Staat die Arbeitsbedingungen gestaltet,<br />

und andererseits überlassen wir das Feld beim<br />

Arbeitsschutz dem freien Markt der Plattformen.<br />

Warum sollten wir die Plattformen nicht politisch<br />

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