Diskurslage erweiterte Dialogprozesses Veränderungen
BMAS_Werkheft-2
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Analysen<br />
Zugenommen hat in den letzten Jahren überwiegend<br />
nicht der zuerst beschriebene emanzipatorische<br />
Typus der Selbstständigkeit, sondern eher<br />
eine »neue«, oft vergleichsweise »ertragsarme«<br />
Selbstständigkeit (Brenke 2013: S. 12-15). Gründungen<br />
erfolgen fast ohne Betriebsvermögen, und<br />
die unternehmerische Tätigkeit, die sich von Auftrag<br />
zu Auftrag hangelt, ist eher arbeitnehmerähnlich<br />
und bietet kein verlässliches und auskömmliches<br />
Einkommen. Über die Hälfte aller Selbstständigen<br />
in Deutschland ist soloselbstständig, d. h.<br />
selbstständig ohne abhängig beschäftigte Arbeitnehmer<br />
(Brenke/Beznoska 2016: S. 18). Solo-Selbstständigkeit<br />
ersetzt oft abhängige Beschäftigung,<br />
doch ohne deren arbeits- und sozialversicherungsrechtlichen<br />
Schutz. Solo-Selbstständigkeit ist<br />
dabei aber nicht per se mit der eben beschriebenen<br />
»neuen« Selbstständigkeit gleichzusetzen.<br />
Wenn jedoch, wie weiter prognostiziert,<br />
zunehmend Tätigkeiten, die bisher in abhängiger<br />
Beschäftigung erbracht wurden, gleichwertig in<br />
Form selbstständiger Tätigkeit erbracht werden<br />
können, wird sich der Trend hin zu ausgelagerter<br />
Arbeit weiter fortsetzen. So waren in den USA, wo<br />
die Digitalisierung als weiter fortgeschritten gilt,<br />
im Jahr 2015 bereits 15,8 Prozent der Erwerbstätigen<br />
gegenüber 10 Prozent im Jahr 2005 in atypischen<br />
Beschäftigungsformen tätig (Katz/Krueger<br />
2016: S. 2). Für den Gesetzgeber stellt sich daher die<br />
Frage, ob die bestehenden Anknüpfungspunkte<br />
des arbeits- und sozialrechtlichen Schutzes für<br />
diese Erwerbsformen, die oft in der Solo-Selbstständigkeit<br />
zu verorten sein werden, mit der fortschreitenden<br />
Digitalisierung noch ausreichen.<br />
Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales<br />
hat das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung<br />
(DIW) mit zwei Untersuchungen zur Situation<br />
der (Solo-)Selbstständigkeit in Deutschland<br />
beauftragt. Dabei stehen vor allem die Solo-Selbstständigen<br />
im Fokus, da sie oft in arbeitnehmerähnlichen<br />
Konstellationen beschäftigt und daher wie<br />
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer besonders<br />
schutzbedürftig sind. In der ersten Studie 1 wurden<br />
die Entwicklung und die aktuelle Struktur der<br />
(solo-)selbstständigen Beschäftigung auf Datenbasis<br />
des Mikrozensus und des Sozio-oekonomischen<br />
Panels (SOEP) untersucht. In einer zweiten,<br />
qualitativen Studie 2 ging es darum, die subjektive<br />
Einschätzung der Betroffenen zu ermitteln.<br />
I AKTUELLE ENTWICKLUNGEN DER<br />
SELBSTSTÄNDIGEN ERWERBSTÄTIGKEIT<br />
1 ENTWICKLUNG DER ZAHLEN<br />
Von 1995 bis 2012 hat die Zahl der Selbstständigen<br />
insgesamt kontinuierlich zugenommen, was<br />
vor allem auf die wachsende Zahl der Solo-Selbstständigen<br />
zurückzuführen war. 2014 waren 5<br />
Prozent aller Erwerbstätigen zwischen 15 und 64<br />
Jahren Selbstständige ohne weitere Mitarbeiter.<br />
Seit ihrem Höchststand im Jahr 2012 mit<br />
ca. 4,3 Mio. Selbstständigen – davon 2,5 Mio.<br />
Solo-Selbstständigen – ist die Zahl der Selbstständigen<br />
rückläufig und betrug im Jahr 2014 noch<br />
4,2 Mio. bzw. 2,3 Mio. (Solo-Selbstständige). Die Zahl<br />
der Solo-Selbstständigen nahm von 2012 bis 2014<br />
um etwa 8 Prozent ab (Brenke/Beznoska 2016: S. 19).<br />
Angesichts des oben beschriebenen Szenarios<br />
in Bezug auf die zunehmende Digitalisierung ist<br />
dies ein überraschender Befund. Bis dato ging der<br />
Zuwachs vor allem soloselbstständiger Erwerbsformen<br />
auf folgende Faktoren zurück: sektoraler<br />
Wandel (etwa Wachsen des Kreativsektors), funktionaler<br />
Wandel mit Auslagerung von Funktionen<br />
an Freiberuflerinnen und Freiberufler (etwa bei<br />
Pflegediensten und im Transportgewerbe), Sondereinflüsse<br />
(wie die Liberalisierung des Handwerks)<br />
sowie die zeitweise schwächelnde Konjunktur,<br />
die Existenzgründungen als staatlich geförderten<br />
Ausweg aus der Arbeitslosigkeit nahelegte (Brenke/<br />
Beznoska 2016: S. 19).<br />
Während die Selbstständigkeit mit Beschäftigten<br />
während der letzten Jahre weitgehend<br />
stabil blieb, waren zwei Schübe in der Zahl der<br />
Solo-Selbstständigen zu beobachten: 1995 im Zuge<br />
der Ausweitung der Existenzförderung vorher<br />
Arbeitsloser und 2003 bis Mitte 2006 im Rahmen<br />
der starken Förderung von Ich-AGs auch durch<br />
Existenzgründungszuschüsse. Dass die Gründungswelle<br />
später abebbte, ist vermutlich vor allem<br />
mit einer verbesserten Konjunktur zu erklären. In<br />
den folgenden Jahren gab es weniger Gründungen<br />
und weniger Wechsel aus abhängiger Beschäfti-<br />
1<br />
Brenke, Karl/Beznoska, Martin (2016): Solo-Selbständige in Deutschland – Strukturen und Erwerbsverläufe, BMAS-Forschungsbericht 465.<br />
2<br />
Fahmy, Melanie/Matthes, Anselm/Scholz, Christiane (2016): Diskussion in Fokusgruppen: Alterssicherung (Solo-)Selbständiger«, Kurzexpertise Nr. 17<br />
im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, unveröffentlicht.<br />
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