Diskurslage erweiterte Dialogprozesses Veränderungen
BMAS_Werkheft-2
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Analysen<br />
entstanden, in denen Unternehmer die Löhne einseitig<br />
festlegen. Besonders besorgniserregend ist,<br />
dass die Erosion der Tarifverträge bislang nicht<br />
gestoppt wurde, sondern durch das Wachsen kaum<br />
tarifgebundener Dienstleistungsbereiche und die<br />
Fragmentierung der Unternehmen in komplexe<br />
Subunternehmerketten weiter fortschreitet. Vor<br />
allem zeigt sich, dass sich schlechte Arbeitsbedingungen<br />
nicht mehr eingrenzen lassen, sondern<br />
sich über den wachsenden Konkurrenzdruck und<br />
die zunehmende Vernetzung der Wirtschaft auch<br />
in die früher gut geschützten Zonen unbefristeter<br />
Vollzeitbeschäftigung ausbreiten und die Mittelschicht<br />
schrumpfen lassen (Bosch/Kalina 2015).<br />
3 NEUE BEDÜRFNISSE DER<br />
BESCHÄFTIGTEN<br />
Alle Befragungen zeigen, dass Arbeitsplatzsicherheit<br />
in der Bedürfnisskala der Beschäftigten<br />
unverändert an der Spitze steht. Das kann kaum<br />
verwundern, da sie Voraussetzung jeder stabilen<br />
Lebensplanung ist. Sprechen wir aber über neue<br />
Bedürfnisse der Beschäftigten, sind vor allem<br />
Flexibilität in der Gestaltung der Arbeitszeit und<br />
mehr Mitsprache und Entscheidungsspielräume<br />
in der Arbeit gemeint. Die Dimensionen der neuen<br />
Arbeitszeitbedürfnisse kann man durch punktuelle<br />
Befragungen kaum abschätzen, da sie sich<br />
im Erwerbsverlauf verändern. Wenn sich zusätzlich<br />
die Rahmenbedingungen für selbst gewählte<br />
Arbeitszeiten verändern, wie das durch den Ausbau<br />
der Kinderbetreuung oder das Elterngeld der Fall<br />
ist, geben Befragungen nur Momentaufnahmen<br />
eines beweglichen Objekts wieder.<br />
Der wohl wichtigste Treiber neuer Arbeitszeitbedürfnisse<br />
ist die wachsende Frauenerwerbstätigkeit.<br />
Die Erwerbstätigenquote bei Frauen zwischen<br />
20 und 64 Jahren ist in Deutschland allein<br />
zwischen 2005 und 2014 um 10 Prozentpunkte<br />
auf 73,1 Prozent gestiegen und liegt inzwischen<br />
deutlich über dem Durchschnitt der EU-28 von<br />
63,5 Prozent (EC 2015). Für die meisten der gut qualifizierten<br />
jungen Frauen sind Erwerbsarbeit und<br />
ökonomische Unabhängigkeit inzwischen eine<br />
Selbstverständlichkeit, was aber im konservativen<br />
deutschen Erwerbsmodell weder vorgesehen<br />
noch unterstützt wurde. In Vollzeitäquivalenten<br />
gemessen lag die Frauenerwerbstätigenquote<br />
2014 in Deutschland aufgrund des hohen Anteils<br />
geringfügiger Teilzeitarbeit bei nur 56,7 Prozent,<br />
also um 16,4 Prozentpunkte unter der Quote in<br />
Köpfen.<br />
Teilzeitarbeit ist ein wichtiges Instrument<br />
der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Im<br />
deutschen Arbeitsmarkt ist Teilzeitarbeit aber<br />
mit langfristigen Nachteilen verbunden, wie dauerhaft<br />
niedriger Bezahlung, geringen Chancen auf<br />
Vollzeit und Karriere und niedrigen Renten. In<br />
der Forschung bezeichnet man dies als »Narbeneffekte«,<br />
die in Deutschland besonders ausgeprägt<br />
sind. Hinzu kommt, dass die traditionellen Teilzeitnormen<br />
in Deutschland, d. h. zum einen die<br />
geringfügige Beschäftigung und zum anderen die<br />
hälftige 20-Stunden-Teilzeit, mittlerweile restriktiv<br />
wirken. Befragungen zu den Arbeitszeitwünschen<br />
zeigen, dass Frauen in Teilzeitarbeit und vor<br />
allem in Minijobs gerne länger arbeiten würden.<br />
Gleichzeitig steigt auch die Unzufriedenheit mit<br />
der bisherigen Vollzeitarbeit. Männer, die – wenn<br />
auch mit Zeitverzögerung – zunehmend Familienverpflichtungen<br />
übernehmen, wollen weniger<br />
Überstunden leisten und Frauen in Vollzeit einige<br />
Stunden kürzer arbeiten (→ Tabelle 1, S. 51).<br />
Hinter diesen neuen Arbeitszeitwünschen<br />
verbergen sich noch weitere Gründe als die Suche<br />
nach einer besseren Vereinbarkeit von Beruf und<br />
Familie. Zu nennen sind vor allem Wünsche nach<br />
vorübergehender Verkürzung der Arbeitszeit oder<br />
der Erwerbstätigkeit durch Weiterbildung oder<br />
nach Verringerung der Arbeitsbelastung etwa<br />
durch Sabbaticals oder zusätzliche regelmäßige<br />
freie Tage.<br />
4 EIN NEUES FLEXIBLES<br />
NORMALARBEITSVERHÄLTNIS MIT<br />
ERWEITERTEN SCHUTZFUNKTIONEN<br />
Gesicherte Vollzeitarbeit ist auch weiterhin<br />
überwiegend gewünscht, aber nicht in der gleichen<br />
starren Form wie in der Vergangenheit und auch<br />
nicht mit der selbstverständlichen Verpflichtung<br />
zu Mehrarbeit. Gleichzeitig wird jedoch mehr<br />
Flexibilität im Sinne von mehr Souveränität hinsichtlich<br />
des Erwerbsverlaufs gewünscht. Ebenso<br />
wie die Unternehmen zunehmend eine lebenslaufbezogene<br />
Personalpolitik entwickeln müssen,<br />
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