Diskurslage erweiterte Dialogprozesses Veränderungen
BMAS_Werkheft-2
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Arndt Pechstein<br />
VON DER MECHANIK ZUR ORGANIK: NETZWERK-<br />
ORGANISATIONEN ALS ÜBERLEBENSSTRATEGIE<br />
Wir leben in einer Zeit des exponentiellen Wandels.<br />
Digitalisierung und Vernetzungsdichte steigen<br />
rapide. Die neue Systemarchitektur der Netzwerke<br />
hat tief greifende Folgen. Zu den größten Herausforderungen<br />
der Gegenwart zählen die wachsende<br />
Komplexität sowie exponentielle Dynamiken.<br />
Vorhersagen sind kaum mehr möglich. Dennoch<br />
besteht der Wunsch nach Orientierung und Sicherheit.<br />
Klassische Modelle und Linienhierarchien versagen<br />
zunehmend, da sie als vereinfachte Modellsysteme<br />
den komplexen Problemsystemen nicht<br />
mehr gewachsen sind; es eigentlich nie waren. Mit<br />
dem Zeitalter der Aufklärung und der Dominanz der<br />
Ratio (Vernunft) wurden auf allen Ebenen mechanistische<br />
Gebilde geschaffen. Zunächst entstanden<br />
in den Wissenschaften voneinander getrennte Disziplinen.<br />
Das lineare Ursache-Wirkungs-Denken<br />
führte zu fragmentierten Bildungsansätzen. In der<br />
Wirtschaft war die Grundlage der Industrialisierung<br />
die Mechanisierung der Arbeit. Mit ihr gingen<br />
mechanistische Organisationsmodelle mit klaren<br />
Linien, Machtstrukturen und Hierarchien einher<br />
(Rifkin 2009, Laloux 2014) 1 .<br />
Nachdem systemische, insbesondere soziale<br />
und ökologische Grenzen bereits in den 70er-Jahren<br />
deutlich gezeigt haben, dass derart rigide Systeme<br />
und eine Fließbandmentalität ungeeignet, ja sogar<br />
schädlich sind (Meadows u. a. 1972), dauerte es bis<br />
in die frühen 2000er-Jahre, bis sich ein Paradigmenwechsel<br />
unaufhaltsam entfaltete: Netzwerke,<br />
Selbstorganisation und Kollaboration weichen<br />
seither Linienhierarchie, Steuerung und Wettbewerb<br />
auf und ersetzen sie allmählich. Die steigende<br />
Vernetzung im digitalen Informationszeitalter<br />
führt zunehmend zur Auflösung struktureller<br />
Grenzen und zur Demokratisierung sämtlicher<br />
Prozesse (Kruse 2005). Die Zukunft orientiert sich<br />
nicht mehr am Individuum, sondern am Kollektiv.<br />
Kollaborative Arbeitsweisen und das Zusammenbringen<br />
verschiedener Expertisen nehmen eine<br />
zentrale Rolle ein (Rifkin 2011). Die Grundlage für<br />
diesen Megatrend des Wandels sind sogenannte<br />
Wir-Qualitäten (WeQ), die übersummative Intelligenz<br />
des Netzwerks (Spiegel 2014). Sie revolutionieren<br />
derzeit sämtliche Sektoren der Wissensgenerierung,<br />
Bildung, Arbeitswelt und Gesellschaft<br />
bis hin zur Unternehmenskultur und Innovation.<br />
Partizipative Open-Source-Modelle, Social Innovation,<br />
Co-Creation und Kollaboration werden<br />
zum Leitbild einer neuen Ära.<br />
Komplexität kann nur noch durch dezentralisierte,<br />
kollektive Mustererkennung reduziert<br />
werden. Dazu sind selbst organisierte Netzwerke<br />
notwendig – Teams aus Teams –, innerhalb derer<br />
Informationen transparent ausgetauscht werden<br />
und effiziente Feedbackmechanismen bestehen.<br />
Vertrauen, Iteration und die Einführung einer Fehlerkultur<br />
werden zur Grundlage innovativer Unternehmensprozesse.<br />
Neue Führungskonzepte wie<br />
Shared Leadership, Selbstorganisation und intrinsische<br />
Anreizmodelle verstärken die Effekte organisch-systemischen<br />
Wachstums. Diese Art Biologisierung<br />
von Organisationen ist nur eine konsequente<br />
Weiterentwicklung der Humanisierung der<br />
Arbeitswelt, die im 20. Jahrhundert begann. Selbstorganisation,<br />
Feedbackmechanismen, Iteration<br />
und Resilienz (Widerstandsfähigkeit) sind grundlegende<br />
Mechanismen und Erfolgsstrategien biologischer<br />
Systeme. Das Ziel solcher Organisationen ist<br />
es, Individuen zusammenzubringen, damit sie ihre<br />
Leistungen, Fähigkeiten und Kenntnisse wechselseitig<br />
verstärken, und somit die Bildung von Funktionssilos<br />
zu verhindern. Starre Gebilde werden so zu<br />
organischen, anpassungsfähigen Organismen, die<br />
komplexen Bedingungen und damit der Zukunft<br />
gewachsen sind.<br />
Dr. Arndt Pechstein ist Berater und Coach für Innovationsprozesse<br />
mit Schwerpunkt auf Design Thinking, Biomimicry und<br />
Neuroeconomics. Sein Fokus liegt auf dem Etablieren von Netzwerkorganisationen.<br />
Mit seiner Innovationsagentur phi360 leitet<br />
er Innovations- und Veränderungsprozesse in Unternehmen.<br />
1<br />
Alle Angaben zur verwendeten Literatur finden Sie<br />
im Literaturverzeichnis auf Seite 195.<br />
SEITE 186<br />
"<br />
Die Zukunft orientiert sich<br />
nicht mehr am Individuum,<br />
sondern am Kollektiv."