Diskurslage erweiterte Dialogprozesses Veränderungen
BMAS_Werkheft-2
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Kontext<br />
TJ: Digitale Nomaden gehen, weil sie es wollen,<br />
nicht, weil sie müssen. Sie greifen als Bewegung<br />
niemanden an, sondern nutzen die technischen<br />
Möglichkeiten, um zu sagen: Wenn ihr das mit der<br />
flexiblen, freiheitlichen Arbeit nicht hinkriegt,<br />
dann mache ich jetzt eben einen Blog auf, mache<br />
ein bisschen Amazon Affiliate und Tschüss. Darin<br />
liegt natürlich eine Kritik an der Arbeitswelt, so,<br />
wie sie ist.<br />
LS: Es gab schon immer Leute, die zieht es raus,<br />
und Leute, die hält es in der vertrauten Umgebung.<br />
Und es ist eine Altersfrage. Was ist, wenn Kinder<br />
ins Spiel kommen, wenn die Familie kommt? Die<br />
digitalen Nomaden sind ja nicht die Einzigen, die<br />
das betrifft. Hoch spezialisierte Fachkräfte sind<br />
quasi als Geschäftsnomaden für ihre Firmen global<br />
unterwegs. Diese extreme Mobilität wird teilweise<br />
von den Unternehmen eingefordert.<br />
Gleichzeitig passen sich doch auch viele<br />
Unternehmen den neuen Bedürfnissen nach<br />
Freiheit und lockeren, weniger hierarchischen<br />
Strukturen an, etwa mit flexiblen Arbeitsmodellen<br />
wie Homeoffice oder Schicht-Doodle. Sie<br />
bilden das in Ihrem Film mit dem »Feel-good-<br />
Manager« ab, der sich um das Wohlergehen<br />
der Belegschaft kümmern soll. Und die Protagonisten<br />
aus Ihrem Film, Herr Jonischkat,<br />
kommen größtenteils aus Arbeitsumfeldern<br />
wie der Werbung oder der Start-up-Szene, in<br />
denen es ohnehin unkonventioneller zugeht als<br />
in vielen Unternehmen. Trotzdem haben die<br />
Leute diese Jobs verlassen, weil sie es nicht mehr<br />
ausgehalten haben, und sind als digitale Nomadinnen<br />
und Nomaden losgezogen. Warum?<br />
LS: Der Wohlfühlmanager ist natürlich ein Versuch,<br />
die Leute im Unternehmen zu halten. Das<br />
Lustige ist, das kam im Film leider nicht so rüber,<br />
die Arbeitsplätze selber waren nicht schön, ein riesiges<br />
Großraumbüro mit null Atmosphäre.<br />
TJ: Die Agenturkicker usw. sind letztlich eigentlich<br />
auch nur ein Instrument der Personalabteilung. In<br />
dem Start-up, in dem ich letztes Jahr drei Monate<br />
gearbeitet habe, durfte ab 16 Uhr Bier getrunken<br />
werden. Da bleiben die Leute dann eben noch mal<br />
zwei Stunden länger. Die meisten zumindest …<br />
Tim Jonischkat<br />
wurde 1986 im Ruhrgebiet<br />
geboren, studierte in Essen<br />
angewandte Informatik und<br />
schloss das Studium mit Auszeichnung<br />
ab. Als freiberuflicher<br />
Software-Ingenieur setzte er<br />
zahlreiche Projekte um. Als<br />
Regisseur drehte und produzierte<br />
er den Film Digitale<br />
Nomaden. Darin erzählen fünf<br />
etablierte digitale Nomaden ihre<br />
Geschichten. Begleitet werden<br />
sie von Jonischkats Koproduzent<br />
Thorsten Kolsch, der für sich<br />
selbst herausfinden möchte, ob<br />
dieses Lebensmodell das Richtige<br />
für ihn ist. Mit dem ersten<br />
deutschsprachigen Dokumentarfilm<br />
zu diesem Thema gibt<br />
Tim Jonischkat Einblick in die<br />
Bewegung des ortsunabhängigen<br />
Lebens und Arbeitens in Zeiten<br />
von Arbeiten 4.0.<br />
Die digitalen Nomadinnen und Nomaden<br />
wählen ihre Erwerbsform freiwillig und definieren<br />
sich darüber. Aber es gibt natürlich<br />
auch Solo-Selbstständige, die diese Arbeitsform<br />
nicht aus Überzeugung und mit dem Ziel der<br />
Selbstverwirklichung wählen, sondern weil sie<br />
ARBEITEN 4.0 WERKHEFT 02 SEITE 203