Diskurslage erweiterte Dialogprozesses Veränderungen
BMAS_Werkheft-2
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Kontext<br />
Tänze und Pferderennen verboten. Erst zu diesem<br />
Zeitpunkt rückten der Sonntag und der Sabbat<br />
durch die gemeinsame Bezeichnung einer Unterbrechung<br />
der Arbeit und das Arbeitsverbot nahe<br />
zusammen. So wurden auch die Inhalte des Sabbatverständnisses<br />
auf den Sonntag übertragen.<br />
Für die Christen war und blieb der Sonntag jedoch<br />
zuallererst durch die Feier des Gottesdienstes, das<br />
»Herrenmahl«, gekennzeichnet. Darum gehörten<br />
auch der »Herrentag« und das »Herrenmahl«<br />
(1 Kor 11,20) eng zusammen. So verbanden sich<br />
auch die Einhaltung der Arbeitsruhe und der Gottesdienstbesuch<br />
am Sonntag eng. Daraus entstand<br />
dann das Sonntagsgebot (vgl. Bärenz 1982).<br />
Die Reformation stärkte den Sonntag als Tag<br />
des Gottesdienstbesuchs und der Beschäftigung<br />
mit dem Wort Gottes. Luther wollte freilich keine<br />
Verschärfung gesetzlicher Vorschriften. Andere<br />
Reformatoren, wie Martin Bucer, verlangten in<br />
Anlehnung an die alttestamentlichen Sabbatgebote<br />
strenge Gesetze zur Wahrung der Arbeitsruhe,<br />
wie diese im Calvinismus, im Puritanismus und<br />
in der Entwicklung des Sonntagsverständnisses in<br />
England in der frühen Neuzeit, tatsächlich näher<br />
ausgeformt wurden.<br />
Das Bürgertum entfaltete vor allem im 19.<br />
Jahrhundert in Frankreich und Deutschland<br />
eine eigene Sonntagskultur. Zu ihr gehörten eine<br />
besondere Betonung der Familiengemeinschaft<br />
sowie neben dem Kirchgang das Sonntagsessen,<br />
der Sonntagsspaziergang, aber auch der »Sonntags-Staat«,<br />
d. h. die feierliche Kleidung. Der<br />
Sonntag wurde der zur Idylle gesteigerte Inbegriff<br />
eines Familien- und Ruhetages. Sehr anschaulich<br />
zeigen dies beispielsweise die Bilder von Carl<br />
Spitzweg.<br />
In Spannung und Gegensatz dazu stehen<br />
die <strong>Veränderungen</strong> durch die von der Industrialisierung<br />
infrage gestellte Arbeitsruhe. Wir<br />
sehen jetzt einerseits das ökonomische Interesse<br />
der Unternehmer, die eine optimale Ausnutzung<br />
der Maschinen anstrebten, und andererseits eine<br />
zunehmende Ausdehnung der Sonntagsarbeit, die<br />
durch die wirtschaftliche Not der Arbeiter geradezu<br />
erzwungen wurde. Vor allem im Frühkapitalismus<br />
um die Mitte des 19. Jahrhunderts wurde<br />
eine durch keinen Ruhetag unterbrochene tägliche<br />
Karl Kardinal Lehmann<br />
Bischof von Mainz em. (1983–<br />
2016), Dr. phil., Dr. theol. Dr. h. c.<br />
mult., Honorarprofessor der Universitäten<br />
Freiburg und Mainz,<br />
Vorsitzender der Deutschen<br />
Bischofskonferenz (1987–2008).<br />
Arbeitszeit verlangt. Diese Situation bewirkte<br />
die »Verelendung« ganzer Bevölkerungsteile in<br />
Form gravierender gesundheitlicher und sozialer<br />
Schäden. Im Zusammenhang der »sozialen« Frage<br />
wurde die Sonntagsfrage drängend, und die Sicht<br />
auf den Sonntag veränderte sich. Seine religiöse<br />
Bedeutung trat stark zurück, während die sozialen<br />
Funktionen größeres Interesse gewannen. Arbeitszeiten<br />
von bis zu 16 oder gar 18 Stunden an sechs<br />
oder sieben Wochentagen waren schließlich nicht<br />
selten. 1839 führte Preußen ein Verbot von Kinderarbeit<br />
am Sonntag ein (es betraf Kinder unter<br />
neun, später unter zwölf Jahren). 1887 stellten<br />
deutsche Umfragen fest, dass sonntags im Durchschnitt<br />
knapp 60 Prozent der Betriebe aus allen<br />
Wirtschaftszweigen (Großindustrie, Handwerk,<br />
Handel und Verkehr) ganz oder halbtags arbeiten<br />
ließen und dabei rund 42 Prozent der Beschäftigten<br />
eingesetzt wurden. Man muss sich dies vergegenwärtigen,<br />
um zu ermessen, was teilweise im<br />
19. und umfassender noch im 20. Jahrhundert zum<br />
Schutz des Sonntags erreicht wurde.<br />
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts<br />
wurden staatliche Gesetze zum Schutz des Sonn-<br />
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