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Diskurslage erweiterte Dialogprozesses Veränderungen

BMAS_Werkheft-2

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Analysen<br />

oder arbeitslos zu werden oder von Weiterbildung<br />

und Karrieren ausgeschlossen zu bleiben, weiterhin<br />

deutlich höher als in unbefristeter Vollzeitarbeit.<br />

Das trifft aber bei Weitem nicht auf alle<br />

diese Arbeitsverhältnisse zu. Teilzeitarbeit ist oft<br />

selbst gewählt, wird vielfach auch gut bezahlt und<br />

stellt sich zum Teil schon als Übergangsepisode<br />

in einem flexiblen Erwerbsverlauf mit Rückkehrrechten<br />

in eine Vollzeitbeschäftigung dar. Eine<br />

befristete Tätigkeit in einem guten Traineeprogramm<br />

kann zum Sprungbrett in eine Erfolg versprechende<br />

Karriere werden. Schließlich können<br />

auch Leiharbeitsunternehmen für nachgefragte<br />

Fachkräfte gute und abwechslungsreiche Arbeitsbedingungen<br />

mit hoher Stabilität bieten.<br />

Wir haben es also mit einer schwierigen<br />

Gemengelage auf dem Arbeitsmarkt zu tun.<br />

Auf der einen Seite nimmt der Schutzbedarf der<br />

prekär Beschäftigten zu, zu denen zunehmend<br />

auch unbefristete Vollzeitbeschäftigte gehören.<br />

Auf der anderen Seite haben sich die Lebensentwürfe<br />

verändert. Längst nicht alle Beschäftigten<br />

wollen immer Vollzeit arbeiten und sehen sich in<br />

ihrer Lebensplanung durch die starren Regeln des<br />

alten NAV behindert.<br />

Doch die Antwort kann nicht ein Zurück zum<br />

alten NAV sein, das auf den männlichen Alleinverdiener<br />

ausgerichtet war. Starre Arbeitszeiten, die<br />

Halbtagsschule und fehlende Kinderbetreuung<br />

ließen bis vor Kurzem allenfalls kurze Teilzeittätigkeiten<br />

für Frauen zu. Die abgabenfreien<br />

Minijobs, in den 70er-Jahren als Zuverdienst für<br />

Frauen konzipiert, und die abgeleiteten Sozialversicherungen<br />

in Kombination mit dem Ehegattensplitting<br />

hielten Frauen vom Arbeitsmarkt fern.<br />

Die notwendige wirtschaftliche Flexibilität wurde<br />

zumeist von den Männern über zum Teil extensive<br />

Überstunden gesichert, was traditionelle Rollenmodelle<br />

verfestigte.<br />

Ein weiteres Problem waren die Arbeitsbedingungen<br />

in der Massenproduktion der 1960erund<br />

1970er-Jahre, von denen die zeitgenössischen<br />

industriesoziologischen Studien ein sehr kritisches<br />

Bild zeichneten (z. B. Böhle/Altmann 1972). Die einfachen,<br />

repetitiven Tätigkeiten waren nicht nur<br />

mit hohen körperlichen und psychischen Belastungen<br />

verbunden, sondern entwerteten systematisch<br />

vorhandene Qualifikationen. Zudem ließen<br />

die kleinteiligen Arbeitsvorgaben und starren<br />

Hierarchien nur wenig Eigeninitiative zu.<br />

Von ihren Studienreisen nach Schweden und<br />

Norwegen brachten Reformer aus Gewerkschaften<br />

und der SPD die Idee einer Humanisierung der<br />

Arbeit mit. Durch die ab 1972 vom Bildungs- und<br />

Forschungsministerium finanzierten großen<br />

Projekte der Arbeitsgestaltung wurde eine Welle<br />

von Reformen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen<br />

in vielen Branchen eingeleitet. Wahrscheinlich<br />

ist damals den meist männlichen<br />

Reisenden der in Nordeuropa schon Ende der<br />

1960er-Jahre erkennbare Umbau des Familienmodells<br />

hin zu einer gleichberechtigten Rolle der<br />

Frauen im Erwerbsleben gar nicht aufgefallen, so<br />

selbstverständlich wurde damals in allen deutschen<br />

Führungsetagen das Alleinverdienermodell<br />

gelebt. Zudem erstickte die Systemkonkurrenz in<br />

der alten Bundesrepublik jede Reform des traditionellen<br />

Familienmodells, da die Förderung der<br />

Erwerbstätigkeit von Frauen in der DDR und der<br />

Ausbau der öffentlichen Kinderbetreuung als autoritäre<br />

Bevormundung der Familien diskreditiert<br />

werden konnten. In der internationalen Forschung<br />

galt daher das westdeutsche Erwerbsmodell vor<br />

der Wiedervereinigung als Referenzmodell des<br />

konservativen Wohlfahrtsstaats (Esping-Andersen<br />

1990), das die neuen Bedürfnisse seiner Erwerbsbevölkerung,<br />

aber auch der Wirtschaft verschlafen<br />

hatte.<br />

Notwendig ist also ein neues Leitbild, das veränderte<br />

Lebensentwürfe berücksichtigt und sie<br />

aktiv unterstützt, ohne jedoch den sozialen Schutz,<br />

den das alte NAV geboten hat, aufzugeben. Um<br />

ein solches Leitbild entwickeln und die für seine<br />

Umsetzung notwendigen Rahmenbedingungen<br />

genauer definieren zu können, müssen zunächst<br />

verschiedene Ursachen der Krise des alten NAV<br />

betrachtet werden.<br />

2 EROSION DER ARBEITSMARKTORDNUNG.<br />

URSACHEN DER KRISE DES ALTEN NAV<br />

Seit Mitte der 1990er-Jahre hat sich die Ordnung<br />

auf dem Arbeitsmarkt grundlegend geändert.<br />

Die alte Verknüpfung von wirtschaftlicher<br />

Effizienz und gesellschaftlicher Solidarität hat<br />

ARBEITEN 4.0 WERKHEFT 02 SEITE 49

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