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Dekan: Prof. Dr. Martin Hautzinger - Universität Tübingen

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Clemens Krause: Posthypnotische Amnesie für therapeutische Geschichten 227<br />

Therapeutische Geschichten<br />

Ein Adler lernt fliegen<br />

Ein junger Adler fiel aus seinem Nest. Ein Bauer fand ihn und nahm ihn mit auf seinen Hühnerhof. Dort wuchs<br />

er mit Hühnern auf. Eines Tages kam ein Fremder vorbei und sagte: „Der Vogel dort zwischen den Hühnern, ist<br />

ein Adler.“ Aber der Bauer lächelte und sagte: „Ich habe ihn aufgezogen wie ein Huhn deshalb benimmt und<br />

fühlt er sich wie ein Huhn.“<br />

Der Fremde setzte den Adler auf seinen Arm und sagte: „Breite deine Schwingen aus und fliege, du bist der<br />

König der Lüfte“ Der Adler jedoch sprang vom Arm und lief auf den Hühnerhof und pickte Körner.<br />

Am nächsten Morgen kletterte der Fremde mit dem Adler auf das Dach und sagte: „Breite deine Schwingen aus<br />

und fliege, du bist der König der Lüfte.“ Der Adler jedoch rutschte das Dach hinunter, sprang auf den Boden und<br />

lief auf den Hühnerhof und pickte Körner. Der Bauer lächelte und sagte: „Sehen Sie, er benimmt und fühlt sich<br />

wie ein Huhn.“<br />

Am dritten Tag stieg der Fremde mit dem Adler auf einen Berg. Auf dem Gipfel angekommen sagte er: „Breite<br />

deine Schwingen aus und fliege, du bist der König der Lüfte.“ Der Adler schaute in das Tal und sah den<br />

Bauernhof und er sah die Hühner und zu seiner Verwunderung auch die Körner, so scharf war sein Auge.<br />

Plötzlich begannen seine Flügel zu zittern.<br />

Da wiederholte der Fremde: „Breite deine Schwingen aus und flieg, du bist der König der Lüfte.“ Und das<br />

Zittern in den Flügeln des Adlers verstärkte sich, er breitete seine Flügel aus und flog davon. Er wurde daraufhin<br />

nicht mehr gesehen, aber niemand weiß, ob er ein Huhn geheiratet hat.<br />

Die Steinpalme<br />

Ein Mann verirrte sich in der Wüste. Die Sonne brannte vom Himmel und er war kurz vor dem Verdursten.<br />

Endlich erreichte er Wasser und trank davon, aber es war salzig und bekam ihm nicht. In der Wut seiner<br />

Verzweiflung nahm er einen Stein, warf ihn auf eine kleine Palme die da stand und wurde ohnmächtig. Der Stein<br />

blieb im Palmenherzen stecken.<br />

Die Palme überlebte und kam allmählich wieder zu Kräften. Sie wuchs größer und kräftiger als zuvor. Jedoch<br />

hatte sie eine harte Rinde, wie aus Stein und war ganz starr und unbeweglich. Vielleicht war es gerade ihre<br />

eigenartige Erscheinung, die Menschen aus der Umgebung anzog. Jeden Abend versammelten sie sich unter ihr<br />

und erzählten sich die Ereignisse des Tages.<br />

Eines Abend saß eine Gruppe unter der Palme und erzählte. Als alle gegangen waren, blieben ein alter Mann und<br />

ein Fremder zurück. Der Fremde fragte: „Wieso ist die Palme so hart wie Stein?“<br />

Da erzählte der alte Mann ihm die Geschichte von der Steinpalme. Dem Fremden wurde ganz anders und zum<br />

Schluß sagte er: „Derjenige, der den Stein warf, das bin ich. Was kann ich dafür tun um das wieder<br />

gutzumachen?“ Worauf der alte Mann entgegnete: „Du kannst die Schuld tragen, wie die Palme den Stein trägt,<br />

der immer noch in ihrem Herzen steckt, oder du kannst sie um Verzeihung bitten“, und der Fremde bat um<br />

Verzeihung.<br />

Da war ein Geräusch zu hören, wie das Knallen eines Sektkorkens und der Stein sprang aus dem Herzen und fiel<br />

auf die Erde mit solcher Wucht, daß er im Boden verschwand. Dabei traf er eine Wasserader, denn es strömte<br />

Wasser aus und verwandelte den Fleck um die Palme in ein fruchtbares, lebendiges Stück Land. So entstand eine<br />

Oase, zu der die Menschen noch viel lieber kamen um sich im Anblick der grünen Wiesen und Büsche<br />

auszuruhen, um Schutz zu suchen.<br />

Der Zeichner<br />

Ein König besaß einen kostbaren Vogel. Als der Vogel in die Jahre gekommen war, beschloß der König ihn in<br />

einem Portrait verewigen zu lassen. Dazu ließ er den besten Maler seines Landes kommen.<br />

Der erklärte sich bereit den Auftrag zu übernehmen. Allerdings erbat sich der Maler ein Jahr um das Werk zu<br />

vollenden. Da der König auf einem Portrait bestand, das der Individualität seines Lieblingsvogels gerecht<br />

werden sollte, erbat sich der Maler den Vogel bis zur Vollendung des Bildes in sein Atelier mitzunehmen.<br />

Nach einem halben Jahr, schickte der König einen Gesandten aus, um sich nach dem Fortschritt der Arbeit zu<br />

erkundigen. Dieser kehrte jedoch unverrichteter Dinge zurück und berichtete: „Das Bild ist noch nicht<br />

vollendet.“<br />

Nach neun Monaten beschloß der König erneut einen Gesandten auszuschicken, um die Arbeit voranzutreiben.<br />

Jedoch auch diesmal kehrte der Gesandte unverrichteter Dinge zurück, mit der Botschaft: „Erst in drei Monaten<br />

wird das Bild vollendet sein.“

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