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Dekan: Prof. Dr. Martin Hautzinger - Universität Tübingen

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Clemens Krause: Posthypnotische Amnesie für therapeutische Geschichten 25<br />

2.3 Episodisches versus semantisches Gedächtnis<br />

Die Unterscheidung von episodischem und semantischem Gedächtnis geht auf Tulving (1972)<br />

zurück. Beide Ausdrucksformen des Gedächtnisses sind explizit bzw. deklarativ. Fragen über<br />

allgemeines Wissen werden vom semantischen Gedächtnis beantwortet. (z.B. „Nennen Sie<br />

einen Nobelpreisträger.“ „Wie buchstabiert man das Wort Hund?“ „Welches sind die<br />

verschiedenen Bedeutungen des Worts Anpfiff?“) Dagegen macht das episodische Gedächtnis<br />

räumlich-zeitliche Unterscheidungen von Episoden möglich, die eine Person selbst erlebt hat<br />

(„Wo habe ich mein Auto geparkt?“ „In welcher Wortliste tauchte ein bestimmtes Wortpaar<br />

auf?“). Episoden, die mit der eigenen Biographie zu tun haben werden im Zusammenhang mit<br />

dem autobiographischen Gedächtnis untersucht.<br />

Das semantische Gedächtnis enthält also Wissen, Regeln, Tatbestände und Bedeutungen, die<br />

nicht an einen bestimmten Kontext gebunden sind, wobei auch hier die Grenzen zum<br />

episodischen Gedächtnis nicht so scharf sind, wie sie auf den ersten Blick erscheinen: So<br />

bringe ich noch heute mein Wissen über Stalagtiten und Stalagmiten mit einem bestimmten<br />

Besuch in einer Tropfsteinhöhle in Verbindung, allerdings ist in diesem Fall die<br />

Rekonstruktion der Episode nicht unbedingt wichtig für den Abruf des Wissens. Jedoch kann<br />

das semantische Wissen oft auf einer Sammlung spezifischer Fälle basieren und das Wissen<br />

über Episoden kann wiederum eng mit dem semantischen Wissen zusammenhängen. Jedoch<br />

braucht man sich, um zu wissen, daß 6 x 7 = 42 ist, nicht auf die Situation zu beziehen, in der<br />

man ursprünglich das kleine Einmaleins gelernt hat, diese semantische Information ist auch<br />

ohne die Hilfe von Cues aus dem Kontext möglich. Auch Wessells (1994) weist auf die<br />

mangelnde Trennschärfe von episodischem und semantischem Wissen hin. Erinnert man sich,<br />

daß es am vergangenen Mittwoch zu Hause Spaghetti zum Mittagessen gab, stellt dies eine<br />

episodische Information dar. Gibt es jedoch jeden Mittwoch Spaghetti, dann kann man auch<br />

daraus schließen, daß es wohl auch letzten Mittwoch diese Speise gab. Eine solche Regel<br />

stellt dann wiederum semantisches Wissen dar, das ein Resultat der Erfahrung aus vielen<br />

Episoden darstellt. Manche Autoren stellen sich episodische und semantische Information als<br />

ein Kontinuum vor. An dem einen Ende steht auf einen räumlich-zeitlichen Kontext bezogene<br />

Information, am anderen Ende kontextfreie Information (z.B. Kihlstrom, 1980).<br />

Beim Lernen von Wortlisten, wohl die häufigste Aufgabe in der experimentellen<br />

Gedächtnisforschung, werden nicht wirklich neue Wörter gelernt, sondern die Wörter werden<br />

im Kontext spezifischer Versuchsanordnungen gelernt. Werden die Wörter Pferd, Brot und<br />

Tasse gelernt, besteht die Aufgabe der Pbn diese ihnen vertrauten Wörter mit dem Kontext<br />

des Experiments zusammenzubringen und zu behalten. Dazu müssen die Pbn die Information<br />

in einen räumlich-zeitlichen Kontext setzen. Wird der Inhalt der Wortliste abgefragt, handelt<br />

es sich folglich um einen Test des episodischen Gedächtnisses.<br />

Es gibt Hinweise darauf, daß Amnestiker weiterhin Wissen erwerben können, auch wenn sie<br />

sich nicht an die Episode erinnern, in der das Lernen erfolgte (s. Kap. 4). Schacter und Graf<br />

(1986) boten ihren amnestischen Pbn Information in Form von Fragen und Antworten dar<br />

(z.B. Was für einen Beruf hatte Bobs Vater? – Feuerwehrmann). In späteren Tests konnten<br />

die Patienten zwar die Fragen teilweise richtig beantworten, jedoch konnten sie sich nicht an<br />

die Umstände erinnern, unter denen sie die Information gelernt hatten. Dieses Phänomen ist<br />

auch aus der Forschung der posthypnotischen Amnesie (PHA) bekannt und wird<br />

Kryptomnesie oder Quellenamnesie genannt (Evans & Thorn, 1966).<br />

Um das semantische Gedächtnis zu verstehen, muß man laut Wessells (1994) die<br />

Repräsentation dieses Wissens im System der menschlichen Informationsverarbeitung<br />

bestimmen. Wissen scheint aus symbolischen Repräsentationen zu bestehen. Über die<br />

Spezifizierung der Art, wie semantisches Wissen im Gedächtnis repräsentiert wird, könnte<br />

man auch mehr über andere Bereiche der kognitiven Psychologie, wie das Problemlösen oder<br />

die Konstruktion von Vorstellungen, erfahren.

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