23.11.2012 Aufrufe

Dekan: Prof. Dr. Martin Hautzinger - Universität Tübingen

Dekan: Prof. Dr. Martin Hautzinger - Universität Tübingen

Dekan: Prof. Dr. Martin Hautzinger - Universität Tübingen

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Clemens Krause: Posthypnotische Amnesie für therapeutische Geschichten 89<br />

Im Fall der letzten drei Amnesieformen wird wahrscheinlich eher eine der komplexeren<br />

Dissoziationsstörungen, entweder Fugue oder Identitätsstörung vorliegen. Fischer (1945)<br />

unterscheidet drei verschiedene Arten von Fugue:<br />

• Typ 1: Es tritt eine Amnesie zusammen mit einem Identitäts- und Ortswechsel auf.<br />

• Typ 2: Es tritt zwar eine Amnesie mit Verlust jedoch ohne Wechsel der Identität auf.<br />

• Typ 3: Die Person wird in eine frühere Lebensphase zurückversetzt und weist eine<br />

Amnesie für die nachfolgende Zeit auf.<br />

Aufgrund der Schwierigkeit diese Störungsbilder fundiert voneinander abzugrenzen, gehen<br />

Schacter und Kihlstrom (1989) eher von einem Kontinuum aus und bezeichnen beide<br />

Störungen als funktionelle retrograde Amnesien. Sie vermuten, daß die meisten psychogenen<br />

Verluste des autobiographischen Gedächtnisses mit irgendeiner Veränderung der Identität<br />

einhergehen. Dissoziative Amnesien sind immer retrograd und umfassen in der Regel ein<br />

auslösendes Ereignis, das zeitlich vor dem einsetzen der Gedächtnisstörung liegt. In der<br />

klassischen Sichtweise umfaßt die Amnesie ein traumatisches Ereignis, z.B. einen<br />

gewalttätigen oder einen sexuellen Übergriff, Naturkatastrophen oder Kriegserlebnisse. In<br />

anderen Fällen umfaßt sie eine ausgedehntere Zeitspanne, die vor dem Trauma angesiedelt ist.<br />

Dissoziative Amnesie kann sich im Zusammenhang mit einer Akuten Belastungsstörung und<br />

mit einer Posttraumatischen Belastungsstörung einstellen (Herman, 1992; s. Kap. 4.6). Sie<br />

kann sowohl bei Opfern als auch bei Tätern eines Verbrechens auftreten. Es können auch<br />

Elemente anterograder Amnesie beobachtet werden, die mit dem Trauma beginnt und damit<br />

endet, daß sich der Betroffene um klinische Hilfe bemüht. Andauernde anterograde Amnesie,<br />

die organischen amnestischen Syndromen gleicht, ist jedoch selten.<br />

Die Auflösung von Dissoziativer Amnesie und Fugue ist schlecht untersucht, sie scheint sich<br />

jedoch in Stufen zu vollziehen. Meistens wird die Störung entdeckt, wenn sich die Patienten<br />

selbst ihrer Gedächtnisdefite bewußt werden oder nicht auf einfache Fragen, die ihren<br />

autobiographischen Hintergrund betreffen, antworten können. Die meisten Dissoziativen<br />

Amnesien lösen sich spontan auf oder dann, wenn der Patient mit Familie oder Freunden in<br />

Kontakt kommt. Manchmal kommt dabei die Erinnerung als ganzes zurück, manchmal stellt<br />

sie sich aber auch nach und nach wieder ein. Wenn sich die Amnesie aufgelöst hat, besteht<br />

häufig eine Amnesie, für die Zeitspanne in der der Patient amnestisch war (Kihlstrom und<br />

Schacter, 1995). Dissoziative Amnesie ist ein eher seltenes Bild und tritt bei weniger als 2 %<br />

psychiatrischer Patienten auf (Kirshner, 1973).<br />

Die Schwierigkeit Patienten mit Dissoziativer Amnesie oder Fugue mit klinischen<br />

Instrumenten zu untersuchen, besteht darin, daß sich die Amnesie meistens schon<br />

zurückbildet, wenn sich die Patienten vorstellen. Kihlstrom und Schacter (1995) beschreiben<br />

jedoch einige Fälle in denen Patienten mit geeigneten Methoden getestet wurden.<br />

P.N. ist ein 21 jähriger Mann, der sich in einem Krankenhaus wegen Rückenbeschwerden<br />

vorstellte. Er konnte sich selbst nicht identifizieren, hatte aber Erinnerungen an<br />

zeitgenössische Sportler und Politiker, sowie eine Gedächtnisinsel um seine Tätigkeit als<br />

Kurier. Er wurde mit Hilfe der Medien identifiziert, konnte jedoch seine Familie nicht sofort<br />

wiedererkennen. Die neurologische Untersuchung erbrachte einen weitgehend unauffälligen<br />

Befund. Die Fugue begann vier Tage zuvor nach der Beerdigung seines Großvaters und löste<br />

sich am Tag nach der Untersuchung auf. Er unterzog sich während der amnestischen Phase<br />

und drei Wochen danach einem Gedächtnistest, dessen Leistung mit einem Kontrollproband<br />

verglichen wurde, der ihm im Alter, Geschlecht, Bildungsstand und IQ entsprach. Im ersten<br />

Test ging es um das Wiedererkennen von Gesichtern berühmter Persönlichkeiten aus der Zeit<br />

von 1920 bis 1976. Bei dieser Aufgabe war seine Leistung unauffällig. Bei der zweiten<br />

Aufgabe wurde dem Patienten ein englisches Wort vorgegeben und er wurde gebeten eine auf<br />

dieses Wort bezogene, persönliche Erfahrung zu schildern. Wenn die Wiedergabe ohne

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!