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Dekan: Prof. Dr. Martin Hautzinger - Universität Tübingen

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Clemens Krause: Posthypnotische Amnesie für therapeutische Geschichten 88<br />

kontingent an eine bestimmte Zeit und einen bestimmten Ort gebunden sind. Dieses<br />

selbstbezogene Wissen definiert die eigene Identität (Kihlstrom & Klein, 1994, vgl. Kap. 2.3).<br />

Eine reine Dissoziative Amnesie ist durch einen Verlust von episodischem aber nicht von<br />

semantischem Wissen über das Selbst gekennzeichnet. Personen vergessen was sie während<br />

einer gewissen Zeitspanne getan haben, aber vergessen nicht wer sie sind. Zumeist ist die<br />

Amnesie reversibel. In der Dissoziativen Fugue geht sowohl das episodische Gedächtnis als<br />

auch das selbstbezogene semantische Wissen verloren. Diese Patienten vergessen wer sie sind<br />

und was sie getan haben. Nimmt die Person eine neue Identität an, wird ein neues Set von<br />

autobiographischen Erinnerungen mit dem neuen Selbst assoziiert. Löst sich die Fugue auf<br />

gehen diese Inhalte zusammen mit der angenommenen Identität verloren. Ähnliches geschieht<br />

bei der Dissoziativen Identitätsstörung. Außer, daß die Person zwischen den verschiedenen<br />

Identitäten hin- und her wechselt. Während jegliches Gedächtnis mit Selbstbezug bei einer<br />

Dissoziativen Störung beeinträchtigt ist, kann das allgemeine semantische Wissen über die<br />

Welt und das Repertoir kognitiver und motorischer Fähigkeiten (prozedurales Gedächtnis)<br />

intakt sein (Kihlstrom & Schacter, 1995).<br />

Fallbeispiele legen allerdings nahe, daß auch semantisches und prozedurales Wissen in<br />

Dissoziativen Störungen vergessen werden kann, wenn ein Wechsel von einer Persönlichkeit<br />

zur anderen erfolgt, wie in dem klassischen Fall von Mary Reynolds. Sie konnte bei dem<br />

ersten Wechsel von ihrer ursprünglichen Identität (Mary 1) zu ihrem alter ego (Mary 2)<br />

gerade noch einige Worte in einer kindlichen Art und Weise von sich geben. Jedoch lernte sie<br />

innerhalb von ein paar Wochen wieder Lesen und Schreiben. Bei späteren Wechseln zwischen<br />

den Identitäten gab es keinen Verlust von semantischem oder prozeduralem Wissen. Die<br />

amnestische Sperre zwischen den Identitäten war durchlässig (die verschiedenen Identitäten<br />

zeigen Ersparnis beim Wiederlernen). Auch folgendes Beispiel verdeutlichtdies: Eines nachts<br />

träumte Mary, daß ihre verstorbene Schwester aus einem Buch vorlas. Am nächsten Tag<br />

konnte sie Bibelpassagen rezitieren, die sie jedoch zuvor vergessen hatte, auch wußte sie<br />

vorher nichts davon, daß sie einmal ein Schwester hatte. Es scheint so, als ob sich viel von<br />

Marys 1 Wissen, das zuvor explizit zugänglich war, nun bei Mary 2 implizit ausdrückte<br />

(James, 1890).<br />

Einer der interessantesten Aspekte funktionaler Amnesien betrifft diese Diskrepanz zwischen<br />

explizitem und implizitem Gedächtnis: In welchem Ausmaß sind Inhalte die nicht mehr<br />

bewußt wiedergegeben werden können dynamisch aktiv (s. Kap. 3.10)? Leider gibt es wenig<br />

empirische Studien, die dieses Phänomen zum Gegenstand der Forschung gemacht haben,<br />

deshalb wird sich dieses Kapitel im Folgenden v.a. auf Fallbeschreibungen stützen.<br />

Theoretisch sollten Dissoziative Amnesie und Dissoziative Fugue leicht voneinander zu<br />

unterscheiden sein. Während im ersten Fall lediglich das episodische Gedächtnis<br />

beeinträchtigt ist, sollte bei der Fugue auch einen Wechsel der Identität beobachtbar sein.<br />

Tatsächlich sind die Übergänge zwischen den beiden Störungen fließend. Laut DSM-IV<br />

lassen sich bei Dissoziativen Störungen mehrere Arten von Amnesie unterscheiden:<br />

• Die lokalisierte Amnesie umfaßt Ereignisse eines umschriebenen Zeitabschnittes.<br />

• Die selektive Amnesie umfaßt bestimmte Ereignisse während eines bestimmten<br />

Zeitabschnitts.<br />

• Die generalisierte Amnesie umfaßt das ganze Leben des Betroffenen, also auch<br />

semantisches selbstbezogenes Wissen.<br />

• Die kontinuierliche Amnesie umfaßt Erinnerungen von einem bestimmten Zeitpunkt an,<br />

bis in die Gegenwart hinein.<br />

• Die systematisierte Amnesie umfaßt Erinnerungen für bestimmte Kategorien von<br />

Informationen (z.B. alle Erinnerungen an eine bestimmte Person).

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