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Dekan: Prof. Dr. Martin Hautzinger - Universität Tübingen

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Clemens Krause: Posthypnotische Amnesie für therapeutische Geschichten 63<br />

Reime von einer Generation zur nächsten weitergegeben. Rubin (1995) beschreibt anhand von<br />

Volkssagen wie Epen mündlich weitergegeben wurden. Noch in den 30er Jahren wurden Sie<br />

in jugoslawischen Kaffeehäusern gesungen und auf diese Weise tradiert. Wie ist es möglich,<br />

daß diese Epen über Jahrhunderte unverfälscht weitergegeben wurden?<br />

Neisser (1982) und Rubin (1995) sind der Ansicht, daß solches Material Generationen<br />

unverändert überstehen kann, da seine Wiedergabe vielfachen Beschränkungen unterliegt.<br />

Kinderreime bestehen aus zahlreichen Reimen, bestimmten Alliterationen und weisen eine<br />

gewisse Metrik auf. Fast jedes Wort in einem Kinderreim ist somit festgelegt und somit nicht<br />

ohne weiteres austauschbar. Natürlich gibt es auch dort Änderungen mit der Zeit, jedoch<br />

lediglich an wenigen, vorhersagbaren Stellen des Textes.<br />

Die Epen des Balkans weisen etwas andere Beschränkungen auf; sie enthalten wenig<br />

Alliterationen, aber jedes Wort muß der jeweiligen Metrik und dem Sinn des Epos<br />

entsprechen. Die Inhalte sind meist konkret und somit gut vorzustellen. Räumliche- und<br />

Objektvorstellung ist eine weitere Variable, die das Behalten der Epen fördert. Eine<br />

Eigenschaft schon seit langer Zeit als Mnemotechnik benutzt wird (Yates, 1995).<br />

Die Beschränkungen, die sich in der Poesie ergeben sind eindrucksvoll. Rubin (1995) führt<br />

das an einem Beispiel aus. Es gibt viele Optionen, wenn man jemand bittet irgend eine Farbe<br />

zu benennen. Auch auf das Wort Boot gibt es einige Reime. Wenn sich aber eine Farbe mit<br />

dem Wort Boot reimen soll, so kommt man zwangsläufig auf die Farbe rot. Um wirksam zu<br />

sein, müssen die Beschränkungen als Schemata im Gedächtnis repräsentiert sein. Dort können<br />

sie wie in Bartletts (1932) Beispiel für Verzerrungen sorgen, oder führen, wie anhand der<br />

Epen aufgezeigt, zu erstaunlichen Gedächtnisleistungen. Erinnern ist ein rekonstruktiver<br />

Prozeß und kann in einer Weise durch Beschränkungen beeinflußt werden, daß er immer das<br />

gleiche Ergebnis hervorbringt.<br />

Häufig wird berichtet, daß bildhafte Sprache, insbesondere Metaphern besonders gut behalten<br />

werden. Dies gilt sowohl für die Psychotherapieherapie (<strong>Martin</strong>, Cummings & Hallberg,<br />

1992) als auch für Feldstudien (Mio, Thompson & Givens, 1993) und Laboruntersuchungen<br />

(z.B. Harris, 1979; Read et al., 1990). Mit Hilfe des Konzepts der Verarbeitungstiefe sind<br />

diese Effekte zu erklären. Metaphern führen durch die Verknüpfung von semantischen<br />

Bereichen vermehrt zu Assoziationen und dadurch zu zusätzlichen mentalen Prozessen und<br />

einer tieferen Verarbeitung. Es spricht einiges dafür, daß tiefere, bzw. elaboriertere<br />

Verarbeitung generell zu höheren Gedächtnisleistungen führt (Craik & Lockhart, 1972). Da<br />

Metaphern bildliche Vorstellung fördern, kann auch die duale Kodierungstheorie (Paivio,<br />

1971), eine bessere Gedächtnisleistung für Metaphern erklären. Bei Metaphern ist sowohl das<br />

System für verbal assoziative Prozesse, insbesondere aber auch das System für bildliche<br />

Vorstellung an der Enkodierung, Organisation, Wiederherstellung und Manipulation von<br />

Information beteiligt. Auch hier kommt es aufgrund der Aktivität zweier Systeme zu einer<br />

elaborierteren Verarbeitung und damit zu einem besseren Erinnern der Inhalte (s. Krause &<br />

Revenstorf, 1997).<br />

Allgemein bekannt ist die Tatsache, daß Experten ein besseres Gedächtnis für ihr Fachgebiet<br />

aufweisen als Anfänger auf dem Gebiet. Chase und Simon (1973), sowie Gobet und Simon<br />

(1996) konnten das in Studien zu Stellungen beim Schachspiel nachweisen. Experten<br />

verfügen über elaborierte Schemata, die das Gedächtnis fördern.<br />

Auch in der Wiedergabe von Geschichten kann ein Expertenstatus erreicht werden. In einer<br />

kulturübergreifenden Studie bot Dube (1982 zit. nach Neisser, 1998) seinen afrikanischen Pbn<br />

aus Botswana und US-amerikanischen Studenten vier Geschichten dar. Zwei der Geschichten<br />

stammten aus dem afrikanischen und zwei aus dem europäischen Kulturraum. Eine Gruppe<br />

Afrikaner stammte aus dem Busch und konnte weder lesen noch schreiben, die andere aus der<br />

Hauptstadt und verfügte über Schulbildung. Die Pbn hörten die Geschichten auf einer

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