Dekan: Prof. Dr. Martin Hautzinger - Universität Tübingen
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Clemens Krause: Posthypnotische Amnesie für therapeutische Geschichten 26<br />
Im Folgenden soll in diesem Zusammenhang besonders der propositionale Ansatz, der auf<br />
Kintch (1974) zurückgeht, dargestellt werden, da dieses Konzept einen Bezug zum<br />
empirischen Teil der vorliegenden Arbeit hat. Die Unterteilung von komplexen Texten in<br />
Propositionen ermöglicht es ein quantitatives Maß zu erhalten, um die Gedächtnisleistung der<br />
Probanden zu operationalisieren. Ein anderer Ansatz geht von assoziativen Netzwerken aus,<br />
in denen sich zumindest die Themen komplexer Texte repräsentieren (Rubin, 1995).<br />
Anschließend erfolgt ein kurzer Abstecher in den Forschungszweig des autobiographischen<br />
Gedächtnisses, welcher, der aufgrund seiner ökologischen Ausrichtung und seiner<br />
Alltagsrelevanz an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben soll.<br />
2.3.1 Assoziative Netzwerke und parallel verteilte Verarbeitung<br />
Verschiedene Modelle wurden über das Wissen von Wortbedeutungen konzipiert, so das<br />
Modell eines hierarchischen Netzwerks von Collins und Quillian (1969, 1972) oder eine<br />
revidierte Form dieses Modells, das Modell der sich ausbreitenden Aktivierung (Collins &<br />
Loftus, 1975). Die Grundannahme besteht darin, daß Assoziationen, oder allgemeiner<br />
excitatorische und inhibitorische Verbindungen von Knoten, in ausgedehnten Netzwerken<br />
zusammengeschlossen sind (McClelland & Rummelhart, 1985). Diese Netzwerke verändern<br />
sich durch Erfahrung und sind somit lernfähig. Im folgenden soll die Entstehung eines<br />
solchen Netzwerks anhand der Entwicklung eines Schemas für die Struktur von Märchen<br />
geschildert werden.<br />
In Geschichten und Märchen des europäischen Kulturkreises tauchen immer wieder ähnliche<br />
Themen oder Komponenten auf (z.B. es besteht ein Konflikt bzw. ein Dilemma, ein Held muß<br />
Prüfungen bestehen, er erhält dazu besondere Gaben, er löst das Dilemma usw.). Diese<br />
allgemeinen Komponenten sind für Märchen typisch und man kann sie sich als Knoten<br />
vorstellen, die zu Beginn keine Verbindung untereinander aufweisen. Jedes Mal wenn ein<br />
Märchen rezipiert wird und zwei Komponenten zusammen auftauchen entsteht eine<br />
excitatorische Verbindung zwischen den Knoten. Taucht jedoch nur eine Komponente ohne<br />
die andere in einem Märchen auf, wird die Assoziationsstärke zwischen den beiden Knoten,<br />
welche die Komponenten repräsentieren, aufgrund von Inhibition schwächer. Somit zeichnet<br />
jeder Knoten auf, wie er in Märchen mit anderen Knoten in Beziehung steht (d.h. gleichzeitig<br />
auftritt). So kann ein Netzwerk nach wiederholter Darbietung etwas über die Struktur und die<br />
Themen von Märchen lernen (s. Rubin, 1995 für ein analoges Beispiel anhand Homerischer<br />
Epen). Eine Geschichte persönlicher Lernerfahrungen ist somit in einem Netzwerk<br />
gespeichert und interagiert als eine organisierte Masse mit neuen Erfahrungen. Diese Aktivität<br />
von Netzwerken kann gut die Entstehung von Schemata erklären, die Gedächtnisinhalte bei<br />
der Rekonstruktion in fördernder oder verzerrender Weise beeinflussen (s. Kap. 3.8, 3.9). Die<br />
Aktivierung eines Knotens führt zu einer Ausbreitung der Aktivierung über das Netzwerk<br />
hinweg, andere Knoten werden excitatorisch (der Abruf der Information wird erleichtert) oder<br />
inhibitorisch (der Abruf der Information wird gehemmt) erregt. Auch eine neutrale<br />
Beeinflussung ist möglich. Ein Netzwerk kann somit die Struktur von Märchen lernen, ohne<br />
daß ein Märchen alle Komponenten dieser Struktur enthalten muß, nachdem es eine Reihe<br />
von Märchen dargeboten bekommt. Es kann angemessene Themen von unangemessenen<br />
diskriminieren und kann ein Märchen über Inferenzen ergänzen, wenn es nur fragmentarisch<br />
dargeboten wird. Ein Netzwerk verändert sich über eine Langzeit-Änderung von Gewichten<br />
und über kurzfristige Veränderungen der Aktivierungen. Eine Aktivierung des Netzwerks, die<br />
über die Darbietung eines Stimulus hinausgeht könnte zur Veränderung der Langzeit-<br />
Gewichte führen, die wiederum die Ausbreitung der Aktivierung beeinflußt (Rubin, 1995, s.<br />
Kap. 2.4).