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Dekan: Prof. Dr. Martin Hautzinger - Universität Tübingen

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Clemens Krause: Posthypnotische Amnesie für therapeutische Geschichten 68<br />

eine Kurve, die wie eine umgedrehte Vergessenskurve von Ebbinghaus aussah und die zeigt,<br />

daß wir mit zunehmender Zeit mehr erinnern. Beides scheint richtig zu sein. Der Unterschied<br />

zwischen den Kurven kann auf unterschiedliche Methoden und Materialien, die in den<br />

Studien zur Anwendung kamen, zurückgeführt werden. Während Ebbinghaus z.B. sinnlose<br />

Silben als Material benutzte, Lernersparnis als Operationalisierung der Wiedergabe<br />

verwendete, das Material lediglich einmal testete und nach dem Lernen vermied, an die<br />

Inhalte zu denken, benutzten Erdelyi und Kleinbard bedeutungsvolle Bilder als Material und<br />

absoluten Abruf, um die Wiedergabe zu operationalisieren. Ihre Pbn gaben mehrmals die<br />

gleichen Inhalte wieder und dachten aktiv an die gespeicherten Inhalte. Erdelyi (1990) ist der<br />

Ansicht, daß der Faktor, der entscheidet, ob Vergessen oder Reminiszens eintritt, das Denken<br />

an die Inhalte ist. Ist die Differenz aus Reminiszens (Inhalte, die bei einer vorherigen<br />

Wiedergabe nicht erinnert wurden, bei einem erneuten Versuch also zusätzlich erinnert<br />

werden) und Vergessen (Inhalte, die zuvor wiedergegeben wurden, bei einem erneuten<br />

Versuch aber nicht mehr erinnert werden) größer als Null, so entsteht Hypermnesie (s. Kap.<br />

3.5). Diese entsteht, indem wir fortwährend an gelernte Inhalte denken.<br />

Erdelyi (1990) ist der Meinung, daß intentionales Vermeiden, an einen Gedächtnisinhalt zu<br />

denken, das ist, was Freud mit Verdrängung meinte. Verdrängung, also intentionales „nicht an<br />

einen Inhalt denken“, kann im Sinne von Abwehr, aber auch andersweitig genutzt werden<br />

(wie bei Ebbinghaus) und stellt dann keinen Abwehrmechanismus dar. Verdrängung scheint<br />

also ein Ausdruck von kognitiver Vermeidung zu sein. Die Gedächtnisinhalte sind nicht<br />

prinzipiell unzugänglich, sondern die Person lehnt einen Zugang ab. Wenn die kognitive<br />

Vermeidung aus irgend einem Grund wegfällt, sollte der Inhalt wieder zugänglich sein. Aus<br />

der Kurve von Ebbinghaus geht hervor, daß dies jedoch nicht zwangsläufig der Fall sein muß<br />

und daß chronisches Unterdrücken eines Inhalts zu einer Amnesie führen kann, die<br />

möglicherweise nicht reversibel ist.<br />

Gegen die Annahme, daß es sich bei Unterdrückung und Verdrängung um die gleichen<br />

Prozesse handelt, sprechen die Ergebnisse folgender Studie. Wegner et al. (1987) wiesen ihre<br />

Pbn an, nicht an einen weißen Bär zu denken, es aber zu registrieren, wenn sie es taten. Die<br />

Autoren fanden, daß die Pbn den Zielgedanken nicht komplett unterdrücken konnten. Wenn<br />

sie nach einer gewissen Zeit angewiesen wurden nun willentlich an den Bären zu denken,<br />

produzierten sie mehr Gedanken über ihn als eine Kontrollgruppe, die nicht den Auftrag hatte<br />

an den weißen Bären zu denken. Dieser Effekt wurde abgeschwächt, wenn die Pbn an etwas<br />

anderes denken sollten, um sich vom Zielgedanken abzulenken. Bewußte Unterdrückung<br />

scheint nicht dasselbe wie Verdrängung zu sein, gerade weil Verdrängung, um das<br />

Individuum vor bedrohlichen Ideen und Impulsen zu schützen, unbewußt sein muß.<br />

Erdelyi und Halberstam (1987 zit. nach Erdelyi, 1990) zeigten, daß die Erinnerung an eine<br />

Geschichte innerhalb von zehn Wochen dramatisch abfiel, nachdem die Pbn in der<br />

Zwischenzeit kaum an die Inhalte der Geschichte gedacht hatten (da sie nicht erwarteten noch<br />

einmal getestet zu werden). Aktive Abrufbemühungen über einige Tage hinweg erbrachten<br />

jedoch trotz der zuvor gezeigten Amnesie einen hypermnestischen Effekt.<br />

Erdelyi (1990) meint, daß Freud die Begriffe Verdrängung und Unterdrückung synonym<br />

verwendete. Die Betonung, daß Verdrängung ein unbewußter Prozeß ist, wurde erst von Anna<br />

Freud eingeführt. Freud selbst bemerkt lediglich, daß es ein unbewußter Prozeß sein kann.<br />

Dieser Widerspruch kann vielleicht teilweise aufgelöst werden, wenn man die Hypothese<br />

akzeptiert, daß ein bewußte Abwehrmechanismus durch häufigen Einsatz, nach und nach<br />

automatisiert werden kann und er dann außerhalb der bewußten Aufmerksamkeit wirksam<br />

wird. Der Vorgang der Verdrängung kann folglich als Ausdruck impliziter Schemata<br />

verstanden werden.<br />

Verdrängung kann als Ursache, als Mechanismus gesehen werden, der zu Amnesie führt.<br />

Jedoch kann Verdrängung nicht unbedingt für alle Arten von Gedächtnis Amnesie<br />

verursachen. Es gibt Hinweise darauf, daß prozedurales Wissen nicht verdrängt werden kann.

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