Dekan: Prof. Dr. Martin Hautzinger - Universität Tübingen
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Clemens Krause: Posthypnotische Amnesie für therapeutische Geschichten 90<br />
weitere Instruktion erfolgte, berichtete P.N., im Gegensatz zum Kontrollpb., so gut wie nichts<br />
aus der Zeit vor der Fugue. Wenn er speziell aus dieser Zeit Erlebnisse schildern sollte, so<br />
kamen diese vor allem aus einer Gedächtnisinsel die er noch hatte. Zudem waren die<br />
Antwortlatenzen wesentlich länger. Nach Auflösung der Fugue war die Gedächtnisleistung<br />
von P.N. unauffällig.<br />
Patient K. hatte einen häuslichen Stromunfall. Als er das Bewußtsein wiedererlangte, wähnte<br />
er sich im Jahr 1945 und war 14 Jahre alt. Er erkannte weder Frau noch Kinder und war sich<br />
des Todes seines Vaters nicht bewußt. Seine letzte Erinnerung bestand an einen Schlag, den er<br />
im August 1945 von einem Baseballschläger erhalten hatte. Acht Jahre später bestand die<br />
Amnesie noch immer. Zusätzlich zu seinem autobiographischen Gedächtnis, hatte K. auch<br />
eine Reihe von Fähigkeiten verloren, z.B. konnte er sich nicht mehr rasieren und nicht Auto<br />
fahren. Er zeigte ein sehr gutes Gedächtnis für berühmte Persönlichkeiten und öffentliche<br />
Ereignisse bis zum Jahre 1945, für die Zeit danach bestanden gar keine Erinnerungen mehr.<br />
Die amnestische Periode blendete eine Familienkrise aus, die im September 1945 begann, er<br />
regredierte sozusagen in eine glücklichere Zeit.<br />
Treadway, Cohen und McCloskey (1992), die den Fall von K. untersuchten, schließen aus den<br />
Ergebnissen, daß autobiographische Erinnerungen um signifikante Ereignisse organisiert<br />
werden, die Lebensepochen einer Person definieren (s. Kap. 2.3.3). Das Vergessen dieser<br />
signifikanten Ereignisse führt zum Verlust von Inhalten, die mit diesen Ereignissen assoziiert<br />
sind, ähnlich wie bei verbalen Lernexperimenten eine Tendenz besteht ganze konzeptuelle<br />
Kategorien zu vergessen. Bei P.N. bestand eine Gedächtnisinsel, die seine Tätigkeit als Kurier<br />
umfaßte. Damit verbundene Ereignisse konnte er wiedergeben.<br />
Es stellt sich die Frage, ob Personen, die Ereignisse explizit nicht mehr wiedergeben können<br />
implizite Gedächtnisfunktionen erhalten konnten. Das würde bedeuten, daß sich diese<br />
Gedächtnisinhalte auf das Erleben und das Verhalten der Patienten auswirken könnten.<br />
James (1890) berichtet von dem Fall des A. Bourne einem Priester, der während seiner Fugue<br />
seine Identität wechselte und als A.J. Brown einen Laden leitete. Augenfällig ist die<br />
Ähnlichkeit zwischen den beiden Namen. Auch war er in seiner neuen Identität ein<br />
passionierter Kirchengänger, eine Gewohnheit die er möglicherweise aus seinem früheren<br />
Leben übernommen hatte. In einem Gottesdienst legte er Zeugnis über seine Bekehrung ab,<br />
eine Episode, die aus dem Leben als A. Bourne stammte. Auch andere Fallberichten geben<br />
Hinweise darauf, daß Gedächtnisinhalte, die explizit amnestisch sind, sich in<br />
unterschiedlichem Ausmaß implizit ausdrücken.<br />
Implizites Gedächtnis kann sich auch durch psychophysiologische Reaktionen ausdrücken.<br />
Organische Amnestiker zeigten veränderte P300 Komponente bei ereigniskorrelierten<br />
Potentialen, die durch Items einer Wortliste ausgelöst wurden, obwohl sie keines der Wörter<br />
wiedergeben konnten (Bentin, Moscovitch & Heth, 1992). Gudjonsson (1979) konnte anhand<br />
elektodermaler Reaktionen den Monat in dem eine amnestische Patientin geboren wurde, ihr<br />
Alter, den Namen ihrer Grundschule und die Straße in der sie lebte identifizieren, obwohl die<br />
Patientin diese Daten nicht explizit erkannte.<br />
Die Dissoziative Identitätsstörung (DIS) ist vielleicht eines der spektakulärsten<br />
psychopathologischen Syndrome. Der Patient entwickelt im Wechsel zwei oder mehrere<br />
Identitäten, die völlig unterschiedlich sein können, ebenso wie deren autobiographisches<br />
Gedächtnis. Die sogenannten Alter Egos sind durch eine amnestische Sperre voneinander<br />
getrennt, so daß ein oder mehrere dieser Alter Egos scheinbar nichts von den Erfahrungen,<br />
Gedanken und Handlungen des/der anderen erfahren. Obwohl früher selten diagnostiziert,<br />
stieg die Anzahl von Diagnosen in den letzten Jahren stark was mit dem Phänomen<br />
gesellschaftlich-kultureller Suggestion erklärt wird (z.B. Schacter & Kihlstrom, 1989).